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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Chris entgegen. »Aber ich glaube nicht, dass ich das Angebot deines Vaters in Anspruch nehmen muss. Bisher kommen wir wirklich ganz gut zurecht.«
    »Schön«, sagte Chris. »Nur eins noch. Ich hoffe, du nimmst das nicht persönlich.« Er grinste. »Doch, tust du bestimmt, aber ich sag’s trotzdem. Mir ist aufgefallen, dass du einer von denen bist, die jeder mag und respektiert, dass du hier aber trotzdem anscheinend keine engeren Freunde hast. Vielleicht hast du die in deiner Nachbarschaft, kann ja sein. Jedenfalls habe ich Kevin gebeten, ein Auge auf dich zu haben.«
    »Kevin Daley?«, fragte Alex. Kevin war klein und ein Zyniker, und Alex hatte immer angenommen, dass Chris sich nur deshalb mit ihm abgab, weil er ziemlich witzig sein konnte. Einen untauglicheren Beschützer konnte er sich kaum vorstellen.
    »Kevin weiß alles«, sagte Chris. »Keine Ahnung, wie er das macht, muss irgendwie angeboren sein. Jedenfalls ist er immer bestens informiert. Und nicht nur über alles, was in der Schule passiert, sondern auch in der ganzen Stadt. Jedenfalls gehört er jetzt dir. In South Carolina bringt er mir eh nicht mehr viel.«
    »Tja, dann sollte ich mich wohl bedanken«, sagte Alex. »Und danke auch noch mal, dass du deinem Vater von mir erzählt hast. Und von meiner Familie.«
    »Ich hoffe, er kann euch helfen«, sagte Chris. »Aber irgendwie glaube ich, dass Kevin dir sehr viel nützlicher sein wird.« Sein Ernst wirkte beunruhigend. »Also dann, mach’s gut, Alex. Ich wünsche dir alles Gute. Und dass dein Vater gesund nach Hause kommt. Ich bete für dich.«
    »Und ich für dich«, murmelte Alex. Er warf Chris Flynn, dem Jungen, der alles hatte, einen letzten Blick zu, steckte die Visitenkarte ein und verließ den Raum. Er war jetzt Sprecher der elften Klassen und würde auch fraglos im nächsten Jahr wiedergewählt werden, aber das alles war jetzt nicht mehr wichtig. Nichts war jetzt noch wichtig, dachte er, während er hastig auf die Jungentoilette zusteuerte. Und ohne darauf zu achten, ob er allein war oder nicht, warf er sich in eine der Kabinen und ließ seinen Tränen freien Lauf.

 
    FÜNF
    Donnerstag, 2 . Juni
    Alex war schon halb aus der Tür, um zur Schule zu gehen, als das Telefon klingelte. Mit klopfendem Herzen rannte er durchs Wohnzimmer und nahm schon beim zweiten Klingeln ab.
    »Luis? Apartment 3 J. Mein Waschbecken tropft schon wieder. Da muss die Dichtung erneuert werden.«
    Krepier doch, bruja , dachte Alex und knallte wortlos den Hörer auf die Gabel.
    Freitag, 3 . Juni
    »Mir ist was eingefallen, wegen Mamá«, verkündete Bri stolz und nervös zugleich, als sie beim Abendessen – Spaghetti mit roter Muschelsoße – saßen. »Warum sie nicht angerufen hat.«
    »Vielleicht funktioniert das Telefon im Krankenhaus nicht«, überlegte Julie. »Lauren sagt, manchmal funktioniert es und manchmal nicht. Vielleicht versucht Mamá immer gerade dann anzurufen, wenn es nicht funktioniert.«
    »Wer ist Lauren?«, fragte Alex und versuchte, sich nicht zu viele Spaghetti zu nehmen. Bisher mussten sie noch nicht hungern, aber ihre Vorräte gingen zur Neige und er fragte sich, wann und wie sie die wieder auffüllen sollten. In der Schule gab es Mittagessen, aber wenn er an das bevorstehende Wochenende dachte und an die Sommerferien, die immer näherrückten, hatte er nicht die geringste Ahnung, wie sie über die Runden kommen sollten.
    »Lauren ist meine beste Freundin«, sagte Julie und schaufelte sich zum zweiten Mal den Teller voll, als wäre Lebensmittelknappheit für sie ein Fremdwort.
    »Ich glaube nicht, dass es am Telefon liegt«, sagte Briana. »Keine Ahnung, ob die Dinger funktionieren oder nicht, aber das ist jedenfalls nicht der Grund, warum Mamá nichts von sich hören lässt.«
    »Warum dann?«, fragte Julie. »Unsere Nummer wird sie ja wohl kaum vergessen haben.«
    »Doch, genau so ist es!«, rief Bri und wirkte fröhlicher und lebhafter als seit Wochen. »Weil sie nämlich Amnesie hat.«
    »Amnesie?«, wiederholte Julie spöttisch.
    Aber Bri schien Julies Skepsis gar nicht zu bemerken, jedenfalls ging sie nicht darauf ein. »Vielleicht hat sie an dem Abend, als sie zum Krankenhaus gefahren ist, irgendwie einen Schlag auf den Kopf bekommen«, sagte sie. »Oder einen Schock, weil sie so viele schreckliche Dinge mit ansehen musste. Was weiß ich … Jedenfalls kann man durch so was sein Gedächtnis verlieren. Im Fernsehen passiert das ständig. Wahrscheinlich geht es ihr gut und sie ist

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