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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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trotzdem vorstellen, dass sie zumindest insgeheim vielleicht ganz froh wäre, von jetzt an das einzige Mädchen im Haushalt zu sein.
    Das Zusammenleben mit Julie würde sicher nicht leicht werden, ohne Bri als Puffer. Aber Julie würde schon noch lernen, seine Entscheidungen zu akzeptieren. Eigentlich war Julie nicht verkehrt, sie war nur schrecklich verwöhnt, weil sie viel zu lange wie ein Baby behandelt worden war. Aber damit war jetzt Schluss. In dieser Welt gab es keinen Platz mehr für zwölfjährige Babys.
    Gleich heute Abend wäre damit Schluss, überlegte er sich. Von jetzt an wäre Julie für das Abendessen zuständig. Bisher hatte Bri immer gekocht, wenn man das so nennen konnte, aber ab heute sollte Julie entscheiden, was es gab. Das bedeutete mehr Arbeit für sie, aber auch mehr Verantwortung. Außerdem konnte sie dann nicht mehr ständig übers Essen meckern, schließlich hatte sie es ja selbst ausgesucht.
    Alex war stolz auf sich. Er tat, was getan werden musste. Das war nicht immer leicht, weder für ihn noch für die anderen, aber wenn er daran dachte, wie tapfer Bri gewesen war, ergriff ihn wieder eine Woge des Stolzes. Carlos würde natürlich behaupten, dass Bri nur deshalb tapfer war, weil ihr Bruder bei den Marines war, aber Alex hatte inzwischen gelernt, dass es verschiedene Arten von Tapferkeit gab. Sogar Papá wäre jetzt sicher stolz auf ihn. Wenn er zurückkam, würde er Alex bestimmt mit mehr Respekt behandeln.
    Müde, hungrig und verschwitzt schloss Alex die Wohnungstür auf. Ihm war inzwischen völlig egal, was Julie zum Abendessen kochen würde, solange sie es nur möglichst bald tat.
    Aber Julie war eindeutig nicht in der Stimmung, sich um das Abendessen zu kümmern. Sie stürmte auf ihn zu, doch statt ihn zu umarmen, hämmerte sie mit den Fäusten auf ihn ein.
    »Wo warst du?«, schrie sie. »Wo ist Bri? Was hast du mit ihr gemacht? Ich dachte schon, ihr beide wärt weggegangen und hättet mich hier allein gelassen. Ich hasse dich! Ich hasse dich!«
    Alex packte sie bei den Handgelenken und hielt sie fest. »Schluss jetzt«, sagte er. »Du weißt ganz genau, dass wir nie ohne dich weggehen würden. Also hör auf, dich wie ein Baby zu benehmen.«
    »Du tust mir weh«, sagte sie.
    »Du hast mir auch wehgetan«, sagte er. »Mit deiner Boxerei. Hättest du das bei Papá auch gemacht?«
    »Du bist nicht Papá«, widersprach Julie.
    »Aber ich hab jetzt das Sagen«, erwiderte Alex. »Bis Papá zurückkommt, musst du mich genauso respektieren, wie du ihn respektiert hast. Und wenn du dich mal zusammennimmst, kann ich dir auch endlich sagen, wo Bri ist.«
    Julie funkelte ihn wütend an, aber sie hielt den Mund.
    »Pater Franco hat mir von einem Kloster erzählt, nördlich von New York, zu dem eine kleine Farm gehört«, erklärte Alex. »Die Schwestern dort haben beschlossen, einige katholische Mädchen bei sich aufzunehmen. Bri ist dafür schon alt genug, deshalb durfte sie mitfahren. Du bist noch zu jung, deshalb bleibst du hier. Und das war’s auch schon. Keiner hat dich einfach im Stich gelassen. Ich wollte dich auch noch von der Schule abholen, aber der Bus zum Kloster hatte Verspätung, deshalb habe ich’s nicht mehr geschafft.«
    »Und wann kommt sie wieder zurück?«, fragte Julie.
    »Nicht so bald«, sagte Alex. »Das ist so was wie ein Ferienlager oder ein Internat. Vielleicht gefällt es ihr sogar so gut, dass sie irgendwann selber Nonne wird. Du solltest dich für sie freuen, weil sie jetzt an einem sicheren Ort ist, wo sie Freunde finden kann und genug zu essen bekommt. Und ich kümmere mich hier um dich. Aber du musst ab jetzt auf mich hören, als wäre ich Papá, denn das würden auch Mamá und Papá von dir erwarten. Geht’s jetzt wieder? Willst du sonst noch etwas wissen?«
    Julie zog noch immer einen Flunsch. »Schickst du mich dann auch bald weg?«, fragte sie. »So wie Bri?«
    »Ich werde tun, was das Beste für dich ist«, sagte Alex. »Ich bin jetzt für dich verantwortlich, und ich werde dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist. Vielleicht bleibst du hier bei mir, vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall erwarte ich von dir, dass du genauso tapfer bist wie Bri. Sie hat die Heilige Muttergottes um Kraft gebeten, und sie wurde ihr geschenkt. Bri hat sogar noch ein anderes Mädchen getröstet, das weinte. Und das älter war als sie selbst. Meinst du, du kannst auch so tapfer sein?«
    »Versprich mir, dass du nicht mehr weggehst, ohne mir Bescheid zu sagen«, flehte

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