Die Verlorenen
gab nicht zu erkennen, daß er sich mit solchen Plänen trug«, erwiderte Gerome, nunmehr doch mühsam beherrscht ob der Überheblichkeit Landrus. »Glaubst du etwa, ich hätte seine Eigenmächtigkeit geduldet? Du müßtest mich besser kennen.«
Landru verzog die Lippen zu einem freudlosen Grinsen und winkte gelangweilt ab. »Reg dich nicht auf. Anwandlungen, wie Guillau-me sie hatte, sind mir nicht fremd. Fast scheint es, als wäre unsere Rasse nicht immun gegen jenen Wahnsinn, der die Menschen Kriege gegeneinander führen läßt. Wenn irgendwo auf der Welt ein Krieg ausbricht, gibt es fast immer einen, oft auch mehrere Vampire, die die Gelegenheit nutzen, um vermeintlich unbemerkt wahre Blutorgien zu veranstalten. Und im Rausch vergessen sie, daß sie damit al-lem zuwider handeln, was für unser Volk seit jeher gilt. Sie offenbaren ihre wahre Natur, und sie schaffen Dienerkreaturen in einem Übermaße, das jeden, der halbwegs bei Verstand ist, unweigerlich auf unsere Fährte führen muß.«
»Du hattest schon häufiger mit solchen Problemen zu tun?« fragte Gerome nicht ohne Hintersinn. Vielleicht konnte er ja ein klein wenig mehr über Landrus Vergangenheit erfahren, als bislang bekannt war.
Doch der vom Kreuz Gezeichnete blieb ihm die Antwort darauf schuldig.
»Um Guillaume zu stoppen, müßte der Kodex, der unserer Rasse verbietet, Unseresgleichen zu töten, gebrochen werden«, fuhr Gero-me schließlich fort, als das Schweigen drückend zu werden begann.
Landru nickte. »So ist es. Vielleicht ist auch dies eine Auswirkung des seltsamen Keimes, der die Menschen einander umbringen läßt. Es ist, als würde er zu Zeiten wie diesen in der Luft liegen, und niemand scheint vor ihm sicher zu sein.«
»Dann billigst du es?« fragte Gerome.
»Ich bin nicht der Richter über unsere Rasse«, sagte Landru, und der andere hatte den Eindruck, als läge unter diesem Satz unhörbar ein anderer: Ich bin viel mehr als das ...
Landru sprach weiter: »Doch wenn zwischen zwei Übeln zu wählen ist, neige ich dazu, mich für das kleinere zu entscheiden.«
Gerome nippte vom Kreolenblut, überlegte, während er die Schlieren beobachteten, die wie durchscheinende Schlangen an der Innenseite des Glases nach unten liefen.
»Man müßte sich auch der Dienerkreaturen annehmen, die Guil-laume zwischenzeitlich geschaffen hat. Einige davon hat er dem Vernehmen nach um sich geschart, andere fristen ihr neues Leben an ihrem angestammten Platz«, sagte er dann.
Wieder nickte Landru. »Eine Aufräumaktion im großen Stile wäre vonnöten.«
»Wie könnte man sie angehen?«
Landru sah eine Weile in sein Glas, trank dann einen Schluck und stellte es ab. Er erhob sich, so überraschend, daß Gerome irritiert zu ihm aufsah.
»Was ...?« setzte er an.
»Gib mir etwas Zeit«, sagte Landru. »Ich melde mich wieder bei dir.«
»Du gehst?«
»Ja. Um einen Plan auszuarbeiten.«
»Ich habe dir eine Kreolin bringen lassen ...«, erklärte Gerome und wies vieldeutig zur Wand zum Nebenzimmer. »Möchtest du dich nicht erst stärken ...?«
Landru winkte ab.
»Die Verpflegung an Bord der >Lioncourt< war gut und reichlich«, grinste er.
Damit ließ er den Vampir stehen, verließ das Gemach und nur Sekunden danach das Gebäude. Als Gerome auf den Balkon hinaustrat, sah er Landru gerade noch in der Menge verschwinden.
Und wenig später einen dunklen Schatten aufsteigen, der nach ein paar Flügelschlägen mit der Regennacht verschmolz.
*
Was Gerome nicht wissen konnte, war ...
... daß Landru seine Zähne nur zu gern in die Schlagader der angebotenen Kreolin geschlagen hätte. Wäre da nicht jenes Gelübde gewesen, das er abgelegt hatte und demzufolge er erst dann wieder Blut saugen durfte, wenn er den Lilienkelch zurückerlangt hatte.
Mit diesem Schwur hatte er sich selbst bestraft. Denn er hatte versagt. Seine Pflicht nicht erfüllt, die gewesen war, den Kelch zu hüten. Er hatte ihn verloren, ohne sich daran erinnern zu können, wie es dazu hatte kommen können. Doch annähernd 150 Jahre waren genug, um den Gedanken an das Wie und das Warum zu verdrängen. Es zählte allein, das Unheiligtum zurückzuholen, wo und in wessen Händen es sich auch befinden mochte. Und Landru war bereit, zu diesem Zweck alle Mühsal auf sich zu nehmen.
Daneben sah er seine Aufgabe jedoch auch darin, sich dem schleichenden Untergang der Alten Rasse entgegenzustellen. Denn mit dem Verlust des Kelches schwand auch die Lebensmoral der Vampire. Kaum merklich,
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