Die Vermessung der Frau
Frausein ziemlich unergründliche Tücken.
Nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen kam ich ins Gespräch mit einer dieser klassischen Managerinnen. Treffen wir Lisa (Name geändert):
Lisa ist 32 Jahre alt, Marketingfachfrau, trägt ein Kostüm von Max Mara und ihre teuersten Schuhe von Lacoste. Sie erzählt mir ihren Tagesablauf und ihre Lebensplanung präzise, kurz und übersichtlich.
Lisa steht auf und stellt fest, dass sie exakt sechs Stunden und 33 Minuten geschlafen hat. Sie konstatiert: ausreichend Schlaf, auch wenn sie selbst gerne mit weniger auskommen würde. Ihr tägliches Schwimmprogramm absolviert sie mit der Präzision eines Schweizer Taschenmessers. Frisch geduscht, rasiert (gehört unterdessen auch zur weiblichen Routine) und mit Antifaltencreme eingeschmiert, geht sie in ihre High-Tech-Küche und isst ihr sorgfältig abgemessenes Müsli. 200 Kalorien sind damit schon konsumiert, damit hat Lisa 10% des normalen Tagesbedarfs gedeckt. Lisa kleidet sich bewusst, meistens in ein graues oder dunkles Kostüm ohne viel Schnick-Schnack und ohne großen Ausschnitt. Sie schaut in den Spiegel und sieht eine gepflegte Dreißigjährige, die in jedem Businessmagazin ein gutes Porträt einer erfolgreichen, jungen Kommunikationsfrau abgeben könnte. Lisas Tablet spielt die Nachrichten und Börsenkurse ein, sie checkt schnell Mails, SMS und ihr Facebook-Account. Letzteres nicht, um etwas zu posten, nein, um sich über für sie wichtige Kontakte und Meldungen auf dem Laufenden zu halten. Auf dem Weg zur Arbeit gleitet Lisas Blick
über Werbeplakate voller Unterwäsche-Models, und ihr Gehirn ist sofort im Soll – Ist – Vergleich. Ein Modus, der ihr immer passiert, wenn sie eine andere Frau sieht, und sei es auch nur eine auf einem Plakat. »Das könnte mir auch stehen« oder »Die ist sicher geliftet, gephotoshoped oder sieht heute alt aus.« Lisa hat selbstredend immer einen Spiegel dabei.
Lisa arbeitet bei einem großen deutschen Kommunikationsunternehmen und registriert sich mit maschinenlesbarem Mitgliederausweis als Mitarbeiterin Nr. 348. Lisas Welt sind Barcodes – diese kleinen Markierungen auf jedem Produkt, jedem Werbeplakat, jedem Kassenzettel. Auch Lisas Freund passt in das Barcode-Schema. Er arbeitet bei einer Großbank, ist oft unterwegs, und die beiden pflegen ein freundschaftlichdistanziertes, leidenschaftsloses Verhältnis, ungefähr so, wie alle anderen Paare in ihrem Freundschaftskreis. Die Gespräche drehen sich um neue Anschaffungen, die Börsenkurse oder die TV-Serien, die sie im Designersofa liegend gerne anschauen. Ist Lisa besonders gut drauf, schenkt sie ihrem Liebsten einen etwas artistisch angehauchten Porno, von dem sie sich verspricht, dass auch sie davon etwas angeturnt wird. Die beiden planen Kinder, möglichst bald, da Lisa von ihrem Gynäkologen und den Frauenzeitschriften ständig ermahnt wird, ihre biologische Uhr nicht zu missachten. Lisa achtet minutiös auf ihre Fruchtbarkeitszyklen. Deshalb bleibt Lisa auch im mittleren Management, da sie als Chefin ihre Chancen, Kinder großzuziehen eher verbaut sieht. Lisa pflegt zyklische Orgasmen und liest wahnsinnig gerne die Bücher von Charlotte Roche und seit 2012 die gesamte »Fifty Shades of Grey«-Trilogie.
Willkommen in der sterilisierten Welt der nach amerikanischem »Sex and the City« gestrickten deutschen weiblichen oberen Mittelschichts-Vermessungsleben! Willkommen bei den bösen Königinnen der heutigen Zeit!
Schauen wir uns die jungen Managerinnen auf den gängigen, explizit nicht-feministischen Frauenkonferenzen einmal etwas
genauer an. Wir erkennen auf einen Blick, wie die kühle Vermesserideologie, der Vergleichsspiegel »Du bist nicht die Schönste im ganzen Land!« viele Frauen auch schon körperlich geprägt hat. Seit Jahren begegnen mir ähnliche Frauen vor allem aus den USA, doch mittlerweile sind sie auch in Deutschland, der Schweiz und Österreich häufiger und uniform anzutreffen. Lange Haare, mittelschlanker bis schlanker Körper, viele High Heels, gepflegtes Make-Up, lackierte Nägel. Unter dem Kostüm hinreißende Dessous, die jedoch eher für den Spiegel als für die Erotik herhalten dürfen. Wenn man nicht aufpasst, verwechselt man ständig die Namen der anwesenden Damen, weil sie so wenig individuell sind. Und, sofern man selbst nicht in das Muster der in einen Uniformlook gepressten Jungaspirantinnen passt, wird man innerhalb von Sekunden von oben bis unten gescannt und auf einer Bewertungsskala von
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