Die Vermessung der Frau
Konsumenten braucht. In meiner Lesart fällt dies mit der Frauenförderung zusammen, d.h. der Staat kann zum ersten Mal in seiner Geschichte sich vor allem auch Frauen bedienen – als Konsumentinnen. Ein Staat, der vor allem auf Konsum baut, baut auch nicht mehr auf Eigenverantwortung und Aufklärung, sondern auf die emotionale Verführbarkeit der Menschen.
5) »Ich, der ich Einer bin«: In »Die Brüder Karamasow« fragt Dimitri K. Starow: »Was muss ich tun, um erlöst zu werden?« Woraufhin Starow erwidert: »Vor allem belüge nicht Dich selbst!« Bestimmend ist nicht die Sorge für den Anderen, sondern die Sorge für das Selbst. Ein Selbst, das in menschlicher Würde und in menschlichem Stolz begründet sein sollte. Dazu braucht es indessen ein Wertesystem, welches das Selbst als hohes Gut erachtet. Sokrates sagt klar, dass Unrecht leiden besser ist als Unrecht tun. Leiden ist bei Sokrates eine ursprünglich menschliche Qualität. Ein solches Menschenbild ist diametral zum neoliberalen Imperativ der Genusssucht.
6) »Das Böse«: Auch J.K. Rowling nimmt mit der Figur von Valdemort, dem grundsätzlich Bösen und versachlichten Nicht-Empathikus in der faszinierenden Harry-Potter-Reihe auf. Selbstachtung ist die Eigenschaft von Harry Potter nicht eine des dunklen Fürsten. Das Böse an Valdemort liegt in seinem Willen, kein Selbst mehr zu haben. Er verdinglicht sich selber. Dieser Ding-Mensch ist grundsätzlich böse, da er vor nichts, schon gar nicht vor sich selber, Achtung hat.
»UNSER TÄGLICHES WIEGEN GIB UNS HEUTE« – 500 JAHRE PHILOSOPHIEGESCHICHTE
1) »Die Vermessung des Unterleibs«: Die Historikerin Barbara Duden beschreibt, wie weibliche Körpergeschichten immer mindestens zwei Erzählungen beinhalten. Einerseits die Geschichte der Oberfläche, des medizinischen, religiösen und medialen Blickes, andererseits die Geschichte von Macht und Herrschaft. Je raffinierter die bildgebenden Verfahren sind, umso mehr wird der weibliche Körper zum Objekt. Dieses Objekt wird traktiert, verändert, interpretiert und normiert. Der klinische Blick macht aus dem Körper eine seelenlose Maschine und wünschbare Form, dem sich besonders Frauen anzupassen haben. Die Erfahrung von Frauen verschwindet hinter einem sterilen Blick. Die Frau muss ihren Körper von ihren Gefühlen abspalten.
2) »Es geht um Mensch und Maschine«: Die Konzentration auf die Geschlechterdifferenzen, typische Frauenliteratur sowie Feminismus verunmöglicht es Frauen oft, allgemeine philosophische Themen damit zu verknüpfen, respektive werden die grundlegenden Aussagen von Frauen nicht als solche, sondern höchstens als Marginalien wahrgenommen.
3) »Männer hinwegtrösten«: Die erst kürzlich verstorbene Grande Dame der deutschen Psychoanalyse, Margarete Mitscherlich, erklärt sich den Frauenhass mit den Rachegefühlen der Männer. Weil die Männer zu Beginn des Lebens auf Gedeih und Verderben auf ihre Gebärerin angewiesen sind, entwickeln sie nach Mitscherlich nie ein normales Verhältnis zu Frauen. Die männliche Kränkung, allein durch den Willen einer Frau, sie zu gebären, ist unüberwindlich. Sigmund Freud erholte sich nie von dieser Kränkung und konstruierte deshalb – nach Mitscherlich – den völlig überholten Penisneid. Freud ging sogar noch weiter und theoretisierte seine ureigene männliche Kränkung im Ödipus-Komplex.
4) »Theorien der Gegenwart«: Hinter der Vernunft und der Theorie stehen sehr oft männliche Kränkungen, siehe Mitscherlich. Dies hat paradoxe Wirkung: Einerseits fühlen sich die Männer ohnmächtig, andererseits sind sie politisch und gesellschaftlich potent. Frauen hingegen wären mächtig, fühlen sich dank Politik und Gesellschaft schwach. Männlicher Sadismus und weiblicher Masochismus ergänzen sich so oft perfekt. Tragisch daran ist, dass Frauen auf alle Frauen den Herrscherblick übertragen und sich an der Schwäche anderer Frauen freuen, siehe Julia Onken. Es gilt, den Kreislauf von Unterdrückung endlich zu unterbrechen.
5) »Durchleuchtung des Inneren des Menschen«: Die Muskeln müssen aufgebaut, das Haar gekräftigt, das Herz trainiert, das Fett abgesaugt, die Akkus aufgeladen werden. Seit dem anatomischen Blick wird der Mensch wie eine Wartungs- und Reparaturmaschine behandelt. Diese Maschine soll unsterblich werden. Nicht zufällig erfreuen sich Vampirfilme so großer Beliebtheit, denn das Thema des unsterblichen Menschen ist alt. Das Unsterblichkeitsdogma manifestiert sich in den diversen
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