Die Vermessung der Frau
Samenbanken und Einfrierungsstätten für weibliche Eizellen.
6) »Alles wird vermessen«: Ich zeige hier den Zusammenhang zwischen der kartesianischen Wende über die Disziplinierung des menschlichen Körpers hin zur Gesundheitsreligion, die sich als Schönheitspflege tarnt. Dass Frauen ihre Intimregionen operieren, hat nichts mit individuellen Entscheiden, sondern mit der philosophisch-politischen Entwicklung zu tun. Es ist mitunter eben die Kritik einer reinen Vernunft – an alltäglichen Beispielen beobachtet.
7) »Medizin und Leichen«: Unübertroffen ist das Kapitel »Medizinzynismus« in Peter Sloterdijks »Kritik der zynischen Vernunft«: »Der anatomische
Blick, ›zynischer‹ als jeder andere, kennt eine zweite Nacktheit unseres Körpers, wenn auf dem Seziertisch des Chirurgen sich die freigelegten Organe in ›letzter‹ schamloser Blöße präsentieren. (...) Auf die Leiche richtet sich eine archaische, von Grauen unterlaufene Schaulust, wie frühere Hinrichtungen beweisen, auch öffentliche Einäscherungen, Leichenhallenromantik von einst sowie die große Aufbewahrung politischer Kadaver.« (S.489).
8) »Historische Triebkräfte«: Max Weber vertritt in den Aufsätzen von 1904 bis 1906, seinen bis heute populärsten Schriften, die Wahlverwandtschaft zwischen protestantischer und moderner betriebsrationaler kapitalistischer Wirtschaftsform. Seine »Geist des Kapitalismus«-Aufsätze erregten schon zu seiner Zeit großes Aufsehen und erhielten durch Webers Besuch in den Vereinigten Staaten einen modernen Touch avant la lettre. Max Weber kennzeichnet die Moderne mit skeptischen Worten wie Entmenschlichung, Versachlichung, Verunpersönlichung, Entseelung, einer richtiggehender Entzauberung der Welt.
9) Die Numerik ist in allen Peter Greenaways Filmen präsent. Auch »The Draughtsman’s Contract« dreht sich um einen Mord, der sich nach Zahlen richtet. Greenaway zeigt übrigens wie kein anderer, dass die Mittäterschaft der Frauen in einem Zahlensystem evident ist. In keinem seiner Filme käme jemand auf die Idee, dass sich hier ein Drama zwischen Männern und Frauen abspielt, sondern es sind mathematisch angelegte Sittengemälde, welche die Moderne auf den Punkt bringen.
10) »Solche Rechenverhältnisse beenden zugegebenermaßen früher oder später auch die klassischen menschlichen Erfahrungsgeschichten wie Heilung, Seele, Glaube, Unsterblichkeit.« Peter Sloterdijk beschreibt die Janusköpfigkeit der Moderne in »Zorn und Zeit« und plädiert für eine bürgerliche Rückkehr: »Viel wichtiger ist es jetzt, die altehrwürdig-fatale Allianz von Intelligenz und Ressentiment zu delegitimieren, um zukunftsfähigen Paradigmen entgifteter Lebensweisheiten Raum zu verschaffen. Deren Kriterien sind nicht besonders neu – John Locke, Vordenker des liberalen englischen Bürgertums, hat sie 1689 in schlichter Sprache formuliert: Es handelt sich um die Grundrechte auf Leben, Freiheit und Eigentum.« Sloterdijk, ZZ, S. 354.
11) »Star Trek oder Raumschiff Enterprise«: Dass Wissenschaft oft wie aktuelle Politik in kostümierter Form funktioniert, zeigt ein Beispiel aus meiner Kindheit. In einem altbackenen Lexikon aus meiner Kindheit gab es Abbildungen, wie sich Forscher Dinosaurier heute und damals vorstellten. Das war unglaublich lustig, denn der Tyrannosaurus Rex des 19. Jahrhunderts sah aus wie ein überdimensionierter Bär. Die Forscher in meinem Lexikon von 1981 zeigten, wie Dinosaurier »wirklich« aussähen. Als ich vor ein paar
Wochen das Lexikon von 1981 im Keller wiederfand, musste ich nochmals lachen. Aber nicht, weil die alten Variationen so lustig waren wie damals, sondern weil die Forscherbilder von 1981 völlig veraltet waren. Was damals als echt und auf dem neusten Forschungsstand als »wahrer« als die Bilder aus dem 19. Jahrhundert präsentiert wurde, sieht 30 Jahre später genauso falsch aus. So sieht es auch mit den Abbildungen von Menschen in der Urzeit, um Mittelalter, in der Moderne aus – nur leider sind die nicht mehr so lustig wie damals die Dinosaurier.
12) Neiman, S.443.
13) »Immanuel Kant«: Zitat aus der »Kritik der reinen Vernunft«, B 46/A 30-B46 /A31 (5715).
14) »Ziemlich schräger Maskenträger ...« Wilhelm Weischedel nennt Descartes »den Mann mit der Maske«, Ernst Peter Fischer setzt den Metaphysiker auf Diät und Robert Zimmer reist mit ihm ins Innere der Vernunft. Descartes ist definitiv Viele.
15) »De omnibus dubitandumest – alles steht in Zweifel«: »Bei Descartes
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