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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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Langeweile peinigen? Das Seminar morgen musste sie noch vorbereiten, reine Routine. Dann würde sie gehen, ihre Doktoranden in Ruhe lassen, sie würde heimgehen, zum überraschten Konrad, der das Essen noch nicht fertig hat. Lass nur, wird sie sagen, wir müssen reden. Er wird nicken, vage ahnend, worüber sie reden will, und sie wird ihm ihre Untreue gestehen.
    Sie wusste, dass es nicht so einfach werden würde. Konrad wird leugnen, es handele sich überhaupt um Untreue. Was sie verband, war doch mehr als nur das Körperliche. Ja, würde sie antworten, schon, aber dennoch Untreue bleibt Untreue, verstehst du? Er dürfte ihr entgegnen, es handele sich um einen unbeherrschbaren menschlichen Trieb. Sie könnte ihm ärgerlich antworten, er solle sie nicht über solche Dinge belehren, schließlich habe sie Psychologie studiert und nicht er. So beginnen Streits. Zum ersten Mal in ihrer Ehe, das fiel ihr jetzt ein, und vielleicht war das der Makel ihrer Beziehung, dass sie nicht einmal streiten konnten.
    Selbst damals nicht, als sie das Haus gekauft hatten. Konrad war es zu groß, zu teuer, zu schlecht geschnitten, zu abgelegen gewesen, aber gefügt hatte er sich dennoch, weil sie das Haus unbedingt wollte. Irgendetwas fehlte in ihrer Ehe, die Klippe, an der sie hätten Schiffbruch erleiden können. Sie waren immer bei ruhiger See unterwegs gewesen, keine Klippe, keine Untiefe, schon gar kein Eisberg mit titanischen Folgen. Immer nur Gäste in ihrer Beziehung, nie hart arbeitende Kämpfer, damit sie nicht unterging.
    Gegen drei verließ sie das Büro. Sie genoss die Sonne, machte sogar einen Umweg zum Parkplatz, überlegte, ob sie sich auf eine der Bänke an der Mensa setzen sollte und tat es nach kurzem Zögern. Sie fühlte sich erleichtert, weil sie mit Konrad streiten würde, obwohl sie sich einen wütenden Konrad nicht vorstellen konnte und schon gar nicht wusste, wie sie das schaffen sollte. Seine Impotenz ansprechen? Das interessierte ihn doch eh nicht. Ihn einen Schlappschwanz nennen, einen zum Greis gewordenen, allzeit schläfrigen Deppen, der seine Befriedigung beim Kochen fand? Das wäre fies, das traute sie sich nicht, das war nicht ihr Stil. Ihm androhen, ihn zu verlassen? Das würde ihn deprimieren, aber nicht zornig machen. Nein, konnte sie nicht. Sie liebte ihn. Wenn sie es bisher nicht gewusst hatte, jetzt wusste sie es.
    Langsam ging sie zum Parkplatz. Nein, sie würde nicht gleich nach Hause fahren. Vielleicht in die Stadt, ein wenig bummeln, einkaufen, Kleider anprobieren. Sie würde nicht mit Konrad über die Sache reden, jedenfalls heute nicht. Morgen oder übermorgen. Abwarten.
    Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit Bergengruen. Er stand an ihrem Wagen, blickte ihr entgegen, in seinen Augen lagen Zorn und Angst, Triumph und Unterwürfigkeit, eine seltsame Mischung. Interessant, dachte Madeleine und bemühte sich um eine souveräne Haltung.
    »Ja?«
    Bergengruen schnappte nach Luft. »Du... du... ich hasse dich!«
    Oh, er war zu elementaren Gefühlen fähig, die außerhalb des Sexspektrums lagen. »Ach?«, machte sie und fischte den Autoschlüssel aus der Handtasche. »Ja«, bestätigte Bergengruen, »ihr missbraucht mich.«

    *

    Bergengruen bereute es sofort. Dass er überhaupt hier war: Fehler. Dass er seit Stunden auf Madeleine wartete: Fehler. Dass er rüberkam wie ein greinender Teenie: Fehler. Wie sie ihn anschaute! So schauten Putzfrauen ihre Putzmittel an. Zugegeben, sie war sein willenloses Sexspielzeug gewesen, aber nun war sie die Professorin, die Höherstehende, die Unnahbare.
    »Ja«, wiederholte er, »und sag diesem Typen, ich will ihn nicht mehr sehen. Er soll gefälligst bleiben... wo der Pfeffer wächst.«
    Warum guckte sie so ungläubig und überrascht? Wenn sie jetzt wieder »aha?« sagen würde, wäre aber was los. Er liebte es nicht, verarscht zu werden.
    Sie öffnete die Fahrertür und machte Anstalten einzusteigen, ohne ihn eines weiteren Kommentars zu würdigen. Bergengruen öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Gefiel ihr nicht, das merkte er. Na und? Gefiel es ihr halt nicht. Ihm gefiel gerade auch nichts.
    »Reden?«, fragte er eine Spur zu zögerlich. Sie nickte leicht und steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn aber nicht. »Hier?«, fragte er weiter. Sie überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Bei mir?« Wieder schüttelte sie den Kopf. Schade. Er hatte gerade eine fürchterliche Erektion und bereute, so wütend gewesen zu sein. Sollten sie ihn

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