Die Vermessung der Lust (German Edition)
Schiffler vor Annäherungsversuchen jedoch abschreckte, die eher burschikose Margret mit den gewaltigen Brüsten, von denen er sogar schon geträumt hatte.
Das alles nahm er wahr und weiter nichts. Er dachte an Madeleine Vulpius und den Sex mit ihr. Sex auf Augenhöhe gewissermaßen, Sex von Erwachsenen für Erwachsene, Sex mit dem Qualitätssiegel der Erfahrung und der Abgebrühtheit eines langen Trieblebens. Mein Gott, ich könnte sie erpressen, dachte Schiffler und verscheuchte den Gedanken auf der Stelle. Er war ein Liebhaber junger Frauen und wusste warum. Es hatte etwas mit seiner eigenen Jugend zu tun, seiner Schüchternheit, den altmodischen Klamotten, die er auf Geheiß seines Vaters, eines ewiggestrigen Rechtsanwalts, hatte tragen müssen, auch mit dem Haarschnitt, den man »Fasson« nannte und der nicht dazu angetan war, bei Rockkonzerten und in Diskotheken die Aufmerksamkeit junger Damen zu erregen, ein rein theoretisches Problem, denn natürlich untersagte ihm der Vater auch den Besuch solcher Örtlichkeiten. Als Folge hatte sich der adoleszente Schiffler einen sogenannten Ranzen angefressen, seine Schultern hingen wie ein enttäuschter Mund, alles Dinge, die es schafften, ihm weibliche Nacktheit als ein reines Phänomen in diversen Zeitschriften vorzuspiegeln.
Gut, er hätte mit Kristiana schlafen können, einer aknegeplagten Nichtschönheit, der es wie ihm erging. Erzwungene sexuelle Enthaltsamkeit bis zum 24. Lebensjahr, als der Psychologiestudent Schiffler die Investition von fünfzig D-Mark in einen Bordellbesuch für lohnend hielt, um sich über gewisse biochemische Prozesse auch praktisch klarzuwerden.
Mit der Zeit hatte sich sein Sexleben normalisiert, wenngleich es ihm immer noch nicht gelang, gleichaltrige Mitstudentinnen auf lockere Art ins Bett zu texten. Immer geriet er an ältere, meistens verheiratete Frauen und in ihm wuchs die Verzweiflung darüber, dass er niemals mit jener Sechzehnjährigen schlafen würde, die ihm als Siebzehnjährigem zugestanden hätte. Nachholbedarf, nannte man das, und als er endlich in Amt und Würden war, ein wohlbestallter Professor der Psychologie, hielt sich Schiffler an den neuen Möglichkeiten gütlich. Zwar keine Sechzehnjährigen, aber wenn man die Sechs umdrehte, war das auch akzeptabel.
Mit gleichaltrigen Frauen hatte er seit zwanzig Jahren wohlweislich nicht mehr geschlafen, sie würden Ansprüche stellen, die Initiative ergreifen, Dinge, die Schiffler nicht mehr gewohnt war und infolgedessen hasste. Im Bett regierte ER, und nur er bestimmte darüber, wer wo wann und in welcher Form mit sexueller Erfüllung beschenkt wurde. Junge Frauen gaben sich mit so wenig zufrieden, einen Orgasmus begrüßten sie als verspätetes (oder verfrühtes) Weihnachtsgeschenk. Hauptsache, es war »ziemlich geil« (nun ja, neuerdings formulierten sie, es sei »hammer!«), ein nettes Kribbeln im Unterbauch, mehr brauchten sie nicht.
Mit Madeleine Vulpius würde es anders laufen, zumal nach deren jüngsten Erfahrungen mit dem Kretin Bergengruen. Schiffler wurde ärgerlich, seine Stimme aber blieb fest und konziliant. Gegen das sexuelle Potential der Dummheit zog das der Intelligenz stets den Kürzeren. Dumm fickt gut, brachte es der Volksmund auf den Punkt. Oder anders herum: Wenn Intelligent gut fickt, dann höchstens in der Theorie.
Nach dem Seminar ging man für gewöhnlich noch ins Café und wurde locker-informell. War er gut gelaunt, spendierte Schiffler eine Runde Getränke, doch heute war er nicht gut gelaunt, er war überhaupt nicht gelaunt und hatte keine Lust auf Kaffee. »Dringende Termine«, sagte er entschuldigend zu Gerlind und wunderte sich zum wiederholten Male über ihren Mund, purer, verschlingender Sex. Er kehrte zurück in sein Büro, reorganisierte gedankenverloren die Oberfläche seines Schreibtisches (der Kalender wanderte von links nach rechts, die Stiftablage von rechts nach links), sah nervös auf seine Armbanduhr (ohne Grund, denn natürlich gab es keine »dringenden Termine«) und seufzte. Er wusste nicht, was er machen sollte.
*
Simone war erschöpft. Sie musste unbedingt für das Date mit Dora fit sein, Gähnen beim Anbaggern war kontraproduktiv. Um diese Zeit waren fast alle Plätze des Cafés besetzt. Soeben trudelte ein Pulk Studierender ein, Schifflers Hauptseminar, Gott sei Dank ohne Schiffler himself. Es wurde laut, und Simone beschloss, bald zu gehen.
Das heiße Bad hatte sie nicht erfrischt. Nein, falsch. Sie hatte danach ihre
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