Die Vermessung der Lust (German Edition)
doch betrügen, sollten sie ihn doch benutzen. Hauptsache, er konnte weiter mit ihr schlafen. »Ihr missbraucht mich!«, wiederholte er, etwas schärfer, eine Spur zu scharf, wie zu befürchten war. Immerhin sah sie jetzt zu ihm rüber, runzelte die Stirn. Das ermutigte ihn. »Ist mir aber egal. Ist ja für die Wissenschaft, ne? Kriegste dafür den Nobelpreis? Oder der Typ, hä? Dieser alte Professor? Und dein Hiwi? Der bei mir im Haus wohnt?«
Sie sah jetzt aus wie all die anderen Frauen, die er bisher gehabt hatte, mit Ausnahme von Julietta, feurige Schöne aus der Karibik, die hatte ihm mal gestanden, dass sie Abitur hatte und einen Abschluss als Diplom-Volkwirtin. Aber die Alte hier wirkte, als könnte sie nicht bis drei zählen.
»Was für einen Unsinn erzählst du da?«
Damit hatte er nicht gerechnet. Er atmete tief ein und aus. Okay dann. Wenn es Unsinn sein sollte, würde er ihn auch bis zum Ende erzählen. Traf sich sowieso gut. Seine Stimme. Sie würde seiner Stimme nicht widerstehen können, sie würden raus in den Wald fahren, yeah, Sex in der freien Natur, hatte er seit damals mit Ingeborg nicht mehr gehabt, da war er siebzehn gewesen und Ingeborg fünfzehn und danach hatten sich beide still geschworen, nie mehr Sex haben zu wollen. Ingeborg hatte sich vielleicht daran gehalten.
Er atmete noch einmal tief ein, schloss die Augen und atmete tief aus. Dann begann er seinen Unsinn zu erzählen.
*
Konrad Vulpius saß auf der Veranda und pfiff ein Lied. Er hatte ganz vergessen, dass er pfeifen konnte, als Kind jedenfalls, später war es ihm abhanden gekommen. Klappte noch ganz gut. Welches Lied er pfiff? Keine Ahnung, aber es war eine launige, fröhliche Melodie.
Normalerweise hockte er zu dieser Nachmittagsstunde auf dem Sofa und sah sich eine Talkshow an. Oder eine Gameshow. Oder schwangere Teenager, die Sätze sagten wie »Oh shit, Kevin is zu blöd sich'n Gummi übern Schniedel zu ziehen«. Dabei wurde er müde und schlief ein, was wohl auch der gesundheitliche Nutzen und Zweck solcher Sendungen war, bis ihn Madeleine wachküsste. Dann wärmten sie das Essen auf, wechselten ein paar Sätze wie Autoreifen, bis Konrad wieder müde wurde.
Jetzt war er hellwach. Nur in Shorts und Hemd genoss er die Sonne, weidete sich am Zwitschern der Vögel und pfiff, was den Vögeln gar nicht gefiel, denn sie zwitscherten immer zorniger. Ach ja: Außerdem betrachtete er Kinofilme auf seiner internen Kopfleinwand.
In denen saß Simone am Tisch und aß Spaghetti mit Lachsstreifen. Sie war nackt. Eine Nudel war auf ihre rechte Brust gefallen und hing über dem Nippel, der zu beachtlicher Größe erigiert war. Konrad stand auf, ging um den Tisch, beugte sich hinunter und fischte die Spaghetti mit den Lippen vom süßen Haken. Simone grunzte wollüstig. In der Hose von Konrad rumorte ein allzulange im Dornröschenschlaf versunkenes Stück Fleisch, es gähnte und streckte sich. In der Hose von Terrassenkonrad kribbelten wenigstens ein Paar Ameisen und versuchten Dornröschen aufzuwecken. Immerhin bewegte es sich schon.
Gut, er war ein alter Narr, aber merkwürdigerweise interessierte ihn das nicht. Simone würde nicht einmal nackt am Tisch sitzen müssen, sie konnte seinetwegen sogar eine Ritterrüstung tragen, es würde ihn dennoch erregen. Allein dass sie da sein und mit ihm spielen würde. Blicke, Gesten, Bewegungen, es war ein schönes Spiel, er genoss es in der Vorschau auf den nächsten Film, der in der Realität spielen würde.
Nein, das war kein Vertrauensbruch, das war Reality-TV. Man würde ja nicht miteinander ins Bett gehen, oder? Man würde zusammen essen, er würde Simone zusehen, wie sie die Teller wegräumte. Schwer, wenn man eine Ritterrüstung anhat. Dann doch lieber dieses Badetuch um ihren Körper geschlungen, es löst sich, fällt von ihrem Körper ab, »huch!«, macht sie gekünstelt und Konrad weidet sich an ihrer Nacktheit, die sie nicht mehr bedeckt, sinnlos, er hat jetzt alles gesehen, er darf es ruhig weiter sehen.
Oh mein Gott. Er hatte eine Erektion. Hier auf der Terrasse, hier im wirklichen Leben. Sogar die Vögel hörten für einen Moment auf zu zwitschern, dann begannen sie wieder und zwitscherten sich die Sensation zu: Konrad Vulpius hat einen stehen! Hey, der alte Vulpius, die menschgewordene Impotenz, der Beweis dafür, dass Testosteron auch nicht in 100-Hektoliter-Fässern geliefert wird.
Ich bin wieder ein Mann, sagte sich Vulpius und griff in seine Hose. Fühlte sich gut
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