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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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Und wir tun dafür Dinge, die wir nicht tun dürften, wir haben uns mit Haut und Haaren der Wahrheit verschrieben, wir geben ihr alles, wir geben ihr – uns.«
    Bei den letzten Worten war Schifflers Stimme brüchtig geworden, so dass Madeleine eine Regung von Mitgefühl nicht unterdrücken konnte, was sie sogleich ärgerte, denn was erzählte der da? Das war doch nicht Schiffler, der Professor? Schiffler, der intrigante Zyniker, Schiffler, der Liebhaber junger Mädchen? Oder doch nur Schiffler, der Mensch, der in einem gefühligen Augenblick zu großen und nichtssagenden Worten neigte?
    Und überhaupt: Wahrheit und Schiffler? Das klang wie Schlagsahne und Brecheisen. Worüber forschte der Kollege eigentlich aktuell? Irgendetwas mit weißen Mäusen.
    »Sie wissen also – alles?« Madeleines Professorinnenstimme blendete über in eine neutralere Variante. »Ich weiß – alles«, bestätigte Schiffler und fügte hinzu: »Selbstversuch. Bemerkenswert. Was hat Sie darauf gebracht, dass Liebe durch rein akustische und nicht etwa semantische Signale ausgelöst werden kann? Also ein Satz wie ICH LIEBE DICH nicht durch seinen Inhalt, sondern die Klangfarbe seiner Vortragsweise über die Reaktion des Empfängers entscheidet?«
    »Nennen Sie es nicht Liebe«, entgegnete Vulpius, »wir sprechen hier über Sex.« »Unterschied?« - »Unterschied?« Sie stutzte. Jeder kannte doch den Unterschied zwischen Liebe und Sex. Sex war im günstigsten Falle eine Teilmenge von Liebe, normalerweise jedoch war Sex Triebabfuhr, so notwendig und selbstverständlich wie Naseputzen. Es gab auch Liebe ohne Sex, ihre eigene Ehe war das beste Beispiel dafür. Konrad! Sie musste ihn unbedingt anrufen, vielleicht dauerte das hier länger.
    »Unterschied?« Schiffler seufzte und stützte die Unterarme auf die Tischplatte. »Liebe ist das zivilisatorische Mäntelchen, das wir verschämt über das Animalische unserer Fortpflanzungsbereitschaft ziehen. Oder, um im Bilde zu bleiben, das Kondom, das uns vor der Geburt der Erkenntnis schützt, auch nicht besser zu sein als irgendein Tier. Quasi ein Euphorismus, sehr oft auch Sublimierung.«
    Unsinn! Madeleine Vulpius atmete hörbar aus, doch Schiffler redete weiter. »Nehmen Sie doch nur Ihr eigenes Projekt, verehrte Kollegin. Warum finden Frauen gewisse Männer attraktiv und produzieren Sexualhormone, andere aber nicht? Weil sie sie nach jenen anatomischen Merkmalen beurteilen, die guten Sex versprechen. Eine breite Brust, sinnliche Lippen, ein stabiles Becken und, nun ja, ein möglichst langer und dicker Penis. Intelligenz gehört nicht dazu, Herzenswärme ebenso wenig. Das stülpen wir der Peinlichkeit, dass wir immer noch so agieren wie unsere frühesten Ahnen, doch nur über. Die Stimme ist das Bindeglied zwischen Archaik und Zivilisation, ein Kulturwerkzeug, das 'Liebe' durch Worte herstellen kann. Doch, und das ist neu, es muss nicht sein. Sie haben herausgefunden, dass allein der Klang der Stimme in der Lage ist, Sexualbereitschaft zu erzeugen, schmutzigen Sex. Es geht nicht um Semantisches, nicht darum also, dass die Bedeutung des Gesprochenen 'Liebe' erzeugt, sei es durch das Signal, der Redner sei intelligent, witzig oder warmherzig, sei des durch das, was wir eine angenehme Stimme nennen. Dieser Bergengruen hat definitiv keine angenehme Stimme. Er krächzt. Und er ist schrecklich dumm, einfach unappetitlich dumm. Und dennoch hatten Sie Sex mit ihm... guten Sex, wie ich annehme.«
    Die Vorstellung, Schiffler male sich gerade aus, wie dieser gute Sex stattgefunden hatte, ließ Madeleine Vulpius erröten. Natürlich hatte der Kollege im Prinzip nicht Unrecht. Sie hatte Schifflers Rede mit wachsender Aufmerksamkeit verfolgt, es lag ein wahrer Kern darin. Tatsächlich war seine, Schifflers Stimme weit verlockender als die Bergengruens – wenn man es an normalen Kriterien maß. Dennoch verspürte sie keineswegs das Verlangen, mit ihrem Kollegen zu schlafen, ganz im Gegenteil. Der Gedanke allein, diesen Mann nackt zu sehen, bereitete ihr Übelkeit.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte sie. »Mit mir schlafen? Mich fertigmachen? Mich erpressen?« »Mit Ihnen arbeiten«, antwortete Schiffler und wunderte sich über seine Stimme, die unvermittelt wie die eines panisch gewordenen Papageis klang.
    Also doch mit mir schlafen, dachte Madeleine, sagte aber: »Aha.«
    »Ja, mit Ihnen arbeiten! Lassen Sie uns ein gemeinsames Forschungsprojekt entwickeln, lassen Sie uns das Missing Link zwischen Liebe und Sex,

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