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Die Vermessung des Körpers

Die Vermessung des Körpers

Titel: Die Vermessung des Körpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Clegg
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durchlebten unsere entfernten Verwandten gerade die letzen Veränderungen, die sie schließlich zu modernen Menschen machten. Das war das vorläufige Ende unserer Evolution. Wir sind heute biologisch dieselbe Spezies, die wir damals schon waren. Auf genetischer Ebene haben zwar inzwischen vielewinzige Veränderungen stattgefunden, doch als Spezies sind wir im Großen und Ganzen noch dieselben. Wir verfügen über dasselbe Potenzial an physischer Kraft, Langlebigkeit, Attraktivität für das andere Geschlecht, Denkvermögen und so weiter.
    Vor vielen Jahrtausenden haben unsere Vorfahren eine gewaltige evolutionäre Entwicklung durchgemacht, die sie nunmehr von jenem Urahnen unterschied, den sie mit den Schimpansen und anderen großen Affenarten gemein hatten. Die »Vormenschen« hatten die meisten ihrer Haare eingebüßt, sodass die empfindliche, dünne Haut nun freilag. Sie bewegten sich auch nicht mehr auf allen vieren fort, sondern gingen aufrecht.
    Ihr Gehirn war im Vergleich zu ihrem Körper überproportional gewachsen, was sie großköpfig und kopflastig machte (damals möglicherweise recht unattraktive Wesensmerkmale). Ihr Mund war kleiner geworden, sodass ihre Zähne als Bisswaffe nun weniger wirksam waren. Und der große Zeh war auch kein gegenüberliegender Finger mehr, mit dem man sich an einem Ast festhalten konnte.
    Alles in allem wurden die Vormenschen durch diese Veränderungen zu einer leichteren Beute für Raubtiere. Ihre nackte, ungeschützte Haut konnte von Klauen und Zähnen allzu leicht zerrissen werden. Verglichen mit dem lockeren Vierfüßlergang anderer Affen wirkten ihre hölzernen Bewegungen auf zwei Beinen entsetzlich unbeholfen – ein Kaninchen konnte dieser seltsam schwerfälligen Kreatur leicht entwischen. Die evolutionären Veränderungen, die sich bei den Vormenschen zeigten, scheinen keinerlei Sinn zu ergeben, es sei denn, es handelte sich um Nebeneffekte. Betrachtet man sie im Kontext der Verhaltensänderungen, durch welche sie vermutlich bedingt waren, erscheinen sie aber als hinnehmbarer Preis.
    Die körperlichen Anpassungen der Vormenschen waren wahrscheinlich ein indirektes Ergebnis dramatisch veränderter Umweltbedingungen. Als sich das globale Klima rasant wandelte, wurden unsere Vorfahren aus den schützenden Wäldern vertrieben und fanden sich in einer ganz anderen Welt wieder: in der offenen Steppe. Angesichts der neuen Bedrohung durch gefährliche Raubtiere waren sie gezwungen,ihre Verhaltensweisen zu ändern, wenn sie nicht ausgelöscht werden wollten.
    Die damaligen Vormenschen taugten noch nicht für das Leben in großen Gruppen. Das trifft auf die meisten unserer nächsten Verwandten auch heute noch zu. Die Schimpansen sind zum Beispiel nicht in der Lage, große Gruppenverbände zu bilden. Bringt man mehr als eine Handvoll Männchen zusammen, brechen Machtkämpfe aus, die nicht selten in einem Blutbad enden.
    Die Vormenschen, die vor etwa fünf Millionen Jahren erstmals hinaus in die Steppe streiften, waren vermutlich ganz ähnlich. Doch die schnellen Raubtiere der damaligen Zeit – von großen, schrecklichen Säbelzahnkatzen wie Dinofelis und Machairodus bis hin zu der etwas bekannteren Hyäne – waren wahre Tötungsmaschinen. Es musste sich einfach etwas ändern. Und die Vormenschen mit den größten Überlebenschancen waren diejenigen, die eine natürliche Begabung zur Teamarbeit besaßen.
    Unsere Vorfahren begannen also, in größeren Gruppen zu leben. Dies versetzte sie in die Lage, es erfolgreich mit einem Raubtier aufzunehmen, das ohne weiteres auch mehrere Menschen in Stücke reißen konnte. Es ist gut möglich, dass diese Änderung der Verhaltensmuster als Nebeneffekte all die physischen Eigentümlichkeiten mit sich brachte, die man beim modernen Menschen feststellen kann.
    Die Wesensmerkmale, welche die Aggression unterdrücken und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit fördern, sind typisch für juvenile Menschenaffen. Die Unfähigkeit unserer Vettern, der Primaten, größere Gruppen zu bilden, stellt sich erst im Erwachsenenalter ein. Die Individuen unter unseren Vorfahren mit einer höheren Überlebenschance in der Steppe – also diejenigen, die unreif genug waren, mit ihren Genossen auszukommen, anstatt sie zu zerfleischen – waren gleichzeitig auch die körperlich am wenigsten entwickelten. Das Endergebnis war der beinahe vollständige Verlust der Körperbehaarung, ein großer Kopf, ein kleiner Mund und sogar ein aufrechter Gang – alles Merkmale der

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