Die Vermessung des Körpers
Wahrscheinlichkeitsrechnung »nach gesundem Menschenverstand« zutreffend. Wenn das erste Kind ein Junge ist, gibt es nur zwei Optionen mit derselben Wahrscheinlichkeit – das zweite Kind ist entweder ein Junge oder ein Mädchen. Die Chancen stehen 50 zu 50.
Nun sind wir gerüstet, die Vollversion des Problems anzugehen. Ich habe zwei Kinder. Eines davon ist ein Junge, der an einem Dienstagzur Welt gekommen ist. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich zwei Jungs habe?
Ihr Bauchgefühl sagt vermutlich: »Die zusätzliche Information über den Tag der Geburt kann keine Rolle spielen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei Jungs sind, muss immer noch 1 zu 3 sein.« Verblüffenderweise ist die Wahrscheinlichkeit nun jedoch 13 zu 27 – ziemlich nahe an 50 zu 50.
Um das zu erklären, müsste ich eigentlich ein weiteres Diagramm zeichnen. Aber das kann ich mir sparen – Sie müssen es sich eben vorstellen.
In diesem Schaubild befinden sich in der ersten Spalte 14 Kinder. »Erstes Kind ein am Sonntag geborener Junge, erstes Kind ein am Montag geborener Junge, erstes Kind ein am Dienstag geborener Junge, …, erstes Kind ein am Sonntag geborenes Mädchen, erstes Kind ein am Montag geborenes Mädchen, erstes Kind ein am Dienstag geborenes Mädchen«, und so weiter und so fort, bis zu »erstes Kind ein am Samstag geborenes Mädchen«.
Für jedes dieser 14 erstgeborenen Kinder gibt es 14 Optionen für das Zweitgeborene. »Zweites Kind ein am Sonntag geborener Junge …« und so weiter.
Das macht zusammen 196 mögliche Kombinationen, doch zum Glück können wir die meisten davon ausschließen. Wir interessieren uns nur für die Kombinationen, bei denen eines der Kinder ein am Dienstag geborener Junge ist. Es handelt sich um die 14 Kombinationen, die von »erstes Kind ein am Dienstag geborener Junge« ausgehen, plus die 13, die von den anderen Erstgeborenen ausgehen und mit »zweites Kind ein am Dienstag geborener Junge« verbunden sind. Das macht alles in allem 27 Kombinationen.
Bei wie vielen dieser Kombinationen gibt es zwei Jungen? Zunächst einmal bei der Hälfte der 14 – eine für jeden zweiten, an jedem Wochentag geborenen Jungen. Von den verbleibenden 13 haben sechs einen Jungen als erstes Kind (weil wir »erstes Kind ein am Dienstag geborener Junge« nicht einschließen). Das ergibt also7 + 6 = 13, 13 Kombinationen, die uns zwei Jungs bescheren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei Jungs sind, beträgt also 13 von 27.
Der gesunde Menschenverstand rebelliert. Indem man einfach sagt, an welchem Tag ein Junge geboren wurde, erhöht man die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch das andere Kind ein Junge ist. Man hätte aber doch jeden beliebigen Wochentag nennen können, wie also soll das funktionieren? Ich kann das nur so erklären, dass wir, indem wir den uns bekannten Jungen als an einem bestimmten Wochentag geboren eingrenzen, dadurch eine Menge Optionen ausschließen. Tatsächlich nähern wir damit die Situation der Ausgangslage »Das ältere Kind ist ein Junge« an – wir fügen dem Bild Informationen hinzu.
Diese Wahrscheinlichkeitsrechnung funktioniert, das lässt sich modellhaft mit einem Computer überprüfen, und die Zahlen sind korrekt. Das Ganze will einem aber trotzdem nicht so recht in den Kopf. Ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht fantastisch? (Ich sollte übrigens erwähnen, dass das Ganze nicht gerade realistisch ist. Es setzt voraus, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beide Kinder entweder Mädchen oder Junge sind, gleich hoch ist, und dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind an einem bestimmten Wochentag geboren wird, stets gleich hoch ist. In Wirklichkeit trifft all das selbstverständlich nicht zu, aber im Rahmen dieser Übung spielt das keine Rolle.)
Ein Verständnistest
Die genannten zwei Beispiele kommen im wirklichen Leben vor. Eine Variante des Ziegen-Auto-Problems aus Monty Halls Show war beispielsweise schon ein beliebtes Glücksspiel unter den Prostituierten auf den Mississippi-Dampfern, die ihre Freier zu einer Wette überredeten. Diese gingen von einer Wahrscheinlichkeit von 50 zu 50 aus, was den Damen einen satten Gewinn einbrachte. Das dritte Beispiel dafür, wie schlecht das Gehirn mit Wahrscheinlichkeiten und Statistiken umgehen kann, ist jedoch dasjenige, das in der Realität viel wichtiger ist, weil es sich im Verständnis medizinischer Testergebnisse äußert – besonders knifflig wird es, weil die Ärzte damit ein ebensolches Problem haben wie alle
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