Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
atomaren Skala deutlich wird. Trotz Bohrs radikaler Annahme musste er das, was man bislang wusste, nicht aufgeben. Er nahm nicht an, dass die klassische Newton’sche Physik falsch war. Seine Annahme war einfach nur, dass die klassischen Gesetze für Elektronen in einem Atom nicht mehr gelten. Die makroskopische Materie, die aus derart vielen Atomen besteht, dass Quanteneffekte nicht sichtbar werden, befolgt Newtons Gesetze, zumindest auf der Ebene, auf der jedermann den Erfolg ihrer Vorhersagen messen könnte. Newtons Gesetze sind nicht falsch. Wir geben sie in dem Bereich, in dem sie gelten, nicht auf. Aber im atomaren Größenbereich mussten Newtons Gesetze scheitern. Und sie scheiterten auf eine beobachtbare und spektakuläre Weise, die zur Entwicklung der neuen Regeln der Quantenmechanik führte.
Kernphysik
Wenn wir unsere Reise zu immer kleineren Skalen bis hin zum Atomkern fortsetzen, werden wir zwar auch weiterhin feststellen, wie andere Beschreibungen, andere Grundbestandteile und sogar andere physikalische Gesetze auftauchen. Aber das grundlegende quantenmechanische Paradigma wird davon unberührt bleiben.
Innerhalb des Atoms werden wir jetzt die innere Struktur von der Größe von etwa zehn Femtometern erforschen, die Größe des Kerns von einem Hunderttausendstel Nanometer. Unseren bisherigen Messungen zufolge sind die Elektronen elementar – d.h. es scheint keinerlei kleinere Bestandteile von Elektronen zu geben. Andererseits ist der Kern kein elementares Objekt. Er besteht aus kleineren Bestandteilen, den Nukleonen. Nukleonen sind entweder Protonen oder Neutronen. Protonen sind elektrisch positiv geladen, und Neutronen sind neutral, also weder positiv noch negativ geladen.
Eine Möglichkeit, die Natur von Protonen und Neutronen zu verstehen, besteht in der Erkenntnis, dass sie ebenfalls nicht elementar sind. George Gamow, der große Kernphysiker und Wissenschaftspopularisierer, war von der Entdeckung der Protonen und Neutronen so begeistert, dass er meinte, es handle sich um die letzte »andere Grenze«: Er glaubte nicht, dass es eine weitere Substruktur gäbe. Er schrieb: »Anstatt mit einer ziemlich großen Anzahl ›unteilbarer‹ Atome haben wir es bloß mit drei verschiedenen Entitäten zu tun; Protonen, Elektronen und Neutronen … Es scheint also, dass wir bei unserer Suche nach den grundlegenden Elementen, aus denen die Materie gebildet ist, das Ziel erreicht haben.« [28]
Das war etwas kurzsichtig. Genauer gesagt, war es nicht kurzsichtig genug. Es gibt eine weitere Substruktur – grundlegendere Bestandteile von Protonen und Neutronen –, aber es war eine Herausforderung, die fundamentaleren Elemente zu finden. Man musste in der Lage sein, Größenbereiche zu erforschen, die kleiner als ein Proton oder Neutron sind, was höhere Energien oder kleinere Messsonden als diejenigen erforderte, die es gab, als Gamow seine fehlerhafte Vorhersage machte.
Wenn wir jetzt in den Kern hineingingen, um Nukleonen und Protonen von der Größe etwa eines Fermi zu sehen – ungefähr zehnmal kleiner als der Kern selbst – würden wir Objekten begegnen, von denen Murray Gell-Mann und George Zweig mutmaßten, dass sie in den Nukleonen existierten. Inspiriert von einer Zeile aus James Joyces Finnegans Wake (»Three quarks for Muster Mark«), bezeichnete Gell-Mann diese Einheiten der Substruktur in seiner Darstellung phantasievoll als Quarks . Die Up- und Down-Quarks in einem Nukleon sind die kleineren, elementaren Objekte (die beiden Up - und das eine Down -Quark, die sich in einem Proton befinden, sind in Abbildung 16 dargestellt), die von der sogenannten starken Kernkraft zusammengehalten werden, um Protonen und Neutronen zu bilden. Trotz ihrer allgemein gehaltenen Bezeichnung ist die starke Kraft eine besondere Kraft in der Natur – sie ergänzt die anderen bekannten Kräfte des Elektromagnetismus, der Gravitation und der schwachen Kernkraft, die wir später besprechen werden.
Abb. 16: Die Ladung eines Protons wird durch drei Valenz-Quarks realisiert – zwei Up-Quarks und einem Down-Quark.
Die starke Kraft wird deshalb »stark« genannt, weil sie stark ist – das ist ein echtes Zitat eines Physiker-Kollegen. Obwohl es sich ziemlich albern anhört, ist es doch wahr. Deshalb findet man Quarks immer verbunden zu Objekten wie Protonen oder Neutronen, bei denen sich der direkte Einfluss der starken Kernkraft aufhebt. Diese Kraft ist so stark, dass bei Abwesenheit anderer Einflüsse die
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