Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
hinteren Teil der Kirche war nun ein dumpfes Raunen zu hören. Ich reckte den Hals, um etwas zu erkennen, und sah, dass die Polizei eingetroffen war, zusammen mit den Shepherds. DCI Vickers führte die Prozession durch den Mittelgang an und gab dabei wohl die absurdeste Braut aller Zeiten ab. Er nahm in der Bankreihe vor der Journalistin Platz, wobei sich ihre Blicke kurz kreuzten. Sie senkte den Kopf und errötete. Ich denke nicht, dass er etwas zu ihr gesagt hatte; vermutlich war das auch gar nicht nötig.
Kurz dahinter kamen die Shepherds in Begleitung des Pfarrers. Diane Shepherd wirkte, als wüsste sie nicht so recht, wo sie war, und schaute mit einem schwachen, wie versteinert wirkenden Lächeln um sich. Ihr Ehemann lief schwerfällig mit gesenktem Kopf. Seit Jennys Verschwinden hatte er beträchtlich abgenommen, sodass seine Kleidung schlapp an seinem Körper hing. Obwohl sein Hemdkragen offen stand, war er sorgfältig gekleidet. Er legte viel Wert auf Äußerlichkeiten und achtete trotz seiner Trauer auf angemessene Garderobe. Hinter ihnen ging Valerie, die ihr selbstgefälliges Gehabe auch angesichts der Situation nur mühsam im Griff hatte. Und ganz hinten stand Blake. Selbstverständlich. Flankiert von mehreren Kollegen bezog er direkt am Eingang Stellung. Sie standen mit dem Rücken zur Wand, die Hände in klassischer Fußballerpose vor dem Körper verschränkt. Obwohl sie abwesend wirkten, als hätte das Geschehen nichts mit ihnen zu tun, ließen sie ihren Blick aufmerksam durch die Gemeinde schweifen. Ich überlegte gerade, wonach sie wohl Ausschau halten mochten, als Blake mich bemerkte. Er hob unmerklich eine Augenbraue, woraufhin ich mich hastig umdrehte und meinen Blick nach vorn richtete. Es war mir äußerst peinlich, dass er mich dabei ertappt hatte, wie ich ihn anstarrte. In diesem Moment setzte der junge Pfarrer zum Eingangsgebet an. Es artete zu einer Art Predigt aus, was ihn augenscheinlich ebenso überraschte wie alle anderen. Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, während seine Phrasen ins Bodenlose glitten. Nachdem er heillos vom Thema abgekommen war, versuchte er krampfhaft, wieder auf den Punkt zu kommen, verlor jedoch immer mehr den Faden.
» Denn wo kann Trost sein ohne Gott? Aber mit Gott, was kann da anderes sein als Trost– jener Trost, der von Gott und durch Gott kommt. Dieser Trost, der , welcher der eine wahre Gott ist. Und Jennifer ist bei Gott, in der Heiligkeit des Himmels, als eines seiner Kinder, wie wir alle es sind , und für ihre Familie muss das tröstlich sein. Tröstlich deswegen, weil…«
Auf der Suche nach einer Antwort blätterte er hektisch in seinen Zetteln, fand jedoch weder einen logischen Schluss für seinen Gedankengang, noch eine sinnvolle Fortsetzung und gab schließlich auf, indem er wenig inspiriert den Schulchor ankündigte. Der setzte zu einem Choral an– einer lautstarken und leidenschaftlichen Interpretation des Kirchenliedes » Be Thou My Vision«.
Blicklos starrte ich auf das Gesangbuch vor mir, ohne die Worte wahrzunehmen. Ich fragte mich, ob Jenny vor ihrem Tod wohl gebetet hatte und ob ihre Gebete erhört worden waren.
Es wäre untertrieben zu sagen, dass während des Gottesdienstes meine Gedanken gelegentlich abschweiften. Elaines Stimme war zu hören, die in gemessenem Tonfall zum Anlass passende Zeilen aus dem Prediger Salomo vortrug, und meine Gedanken drifteten erneut ab und kreisten um die herrliche Gewölbedecke und den gotischen Bogen, der zum Querschiff führte. Die verschiedensten Gedanken kamen mir in den Sinn, und ich ließ sie dort verweilen, ohne mich um das Geschehen um mich herum zu kümmern.
Doch jemand beobachtete mich. Als ich mich mit der übrigen Gemeinde erhob, um » The Lord is My Shepherd« zu singen, schaute ich mich kurz um und bemerkte Geoff, der mich unverhohlen anstarrte. Als er meinen Blick erhascht hatte, hob er seine Hand, umschloss damit ein unsichtbares Glas und neigte es– das universelle Zeichen für » Wollen wir dann noch was trinken gehen?«. Ich verzog abweisend das Gesicht und beugte mich über mein Gesangbuch, als hätte ich die Worte des Psalms noch nie zuvor gesehen.
Als die letzten Orgeltöne verklungen waren, trat der Pfarrer wieder ans Mikrofon und nestelte es aus dem Ständer. Lautes Fiepen und Quietschen begleiteten sein Tun, und die Gemeinde beobachtete teilnahmslos, wie er mit der Technik kämpfte. Dann verfiel er in ein weiteres ausuferndes Stegreifgebet, über dessen Inhalt er
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