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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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sämtliche Gelenke protestierten. Ich fühlte mich, als hätte ich mir zusätzlich zu meinen Prellungen noch eine üble Grippe aufgeladen. Einzig die Aussicht auf Ruhe, kühle Laken und ein paar Stunden Einsamkeit gab mir die Kraft, es zurück in mein Zimmer zu schaffen. Dort hievte ich mich wieder ins Bett. Der Schlaf übermannte mich schnell und plötzlich– als würde ich von einer Klippe stürzen.
    Vom Regen wachte ich wieder auf. Es war bereits Nachmittag und schüttete wie aus Eimern. Ein nasskaltes Tiefdruckgebiet vom Atlantik verdrängte die erste warme Sommerluft und trieb heftige Schauer vor sich her. Ich hatte mein Fenster offen gelassen und sah nun dunkle Flecken auf dem rosaroten Teppich und überall auf meinem Schreibtisch feine Spritzer von den prallen Regentropfen, die auf dem Fensterbrett landeten und dort wie winzige Granaten explodierten. Noch ganz benommen vom Schlaf streckte ich meine linke Hand aus, um das Fenster zu schließen. Doch ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Arm so heftig, dass mir die Luft wegblieb. Wie hatte ich das nur vergessen können? Ich zog das Fenster mit der anderen Hand herunter und ließ es nur einen Spaltbreit offen, damit die regenfrische, saubere Luft hereinströmen konnte. Der Regen prasselte wie Trommelschläge auf das Dach und hing wie ein beinahe blickdichter Vorhang vor den Häusern gegenüber, wodurch sie nur noch schemenhaft und verschwommen erkennbar waren– wie mit schmutzigem Wasser gemalte Aquarelle. Ein paar Minuten lang beobachtete ich träge, wie das Regenwasser von der Straße abfloss und in Bächen den Fußweg hinunterströmte. Ein solcher Wolkenbruch hatte etwas Faszinierendes, geradezu Hypnotisches an sich. Vor allem dann, wenn man drinnen im Trockenen saß.
    Da fiel mir schlagartig ein, dass ich nachher ja doch noch hinaus- und obendrein zu Fuß gehen musste. Den Gedenkgottesdienst einfach zu schwänzen, brachte ich aus Angst vor Elaine nicht fertig. Ich schaute auf die Uhr und stellte zu meinem großen Erschrecken fest, dass es schon halb fünf war. Meine einzige Hoffnung war Jules. Ihre Telefonnummer hatte ich glücklicherweise noch– sie stand in meinem Kalender vom vorigen Jahr, wo sie sich mit ihrer ausladenden, über zwei Zeilen reichenden Schrift selbst eingetragen hatte. Ich humpelte nach unten zum Telefon und wünschte dem Kerl, der meine Handtasche geklaut hatte, zähneknirschend viel Vergnügen mit meinem Nokia. Es hätte mir einiges erleichtert, wenn er mir wenigstens mein Handy gelassen hätte. Und meine Schlüssel. Und meine Brieftasche. Aber dann wäre es ja kein Raubüberfall gewesen.
    » Hallo?«
    » Jules, ich bin’s, Sarah.«
    » Sarah! Hab deine Nummer gar nicht erkannt. Meine Güte, fast wäre ich nicht rangegangen. Wie geht’s denn?«
    » Ganz gut«, sagte ich hastig. » Hör mal, ich hab Probleme mit meinem Auto. Könntest du mich vielleicht abholen, wenn du zum Gedenkgottesdienst in die St. Michael’s Kirche fährst?«
    » Zum was?«, fragte Jules verblüfft. » Ach so, ja. Nee, tut mir leid. Das spar ich mir.«
    » Ich dachte, das wäre Pflicht für uns?«
    » Ist nicht so mein Ding. Ich habe Elaine gesagt, dass ich eine unaufschiebbare familiäre Verpflichtung hätte.«
    » Verstehe«, erwiderte ich und wünschte, mir wäre etwas Ähnliches eingefallen. » Schön für dich.«
    » Elaine hatte soo einen Hals. Aber soll sie ruhig. Sie kann mich ja nicht feuern, nur weil ich nicht hingehe. Tut mir aber echt leid für dich. Kriegst du’s anders gebacken?«
    Eigentlich war es nicht sonderlich weit– nur ein paar Kilometer. Ohne mein lädiertes Knie wäre es überhaupt kein Problem gewesen, zu Fuß zu gehen. Ich lachte. » Na klar. Ich war nur ein bisschen wasserscheu.«
    » Ich komme gerade vom Friseur«, raunte Jules durch den Hörer. » Wenn ich in der Kneipe ankomme, ist wahrscheinlich alles wieder im Eimer.«
    » Aha, dort findet wohl deine familiäre Verpflichtung statt oder wie?«, erkundigte ich mich und hörte mir grinsend ihre ziemlich deftige Antwort an, ehe sie auflegte.
    Doch als ich den Hörer vom Ohr nahm, verging mir das Grienen. Die Witzeleien waren ja gut und schön, aber jemand anders fiel mir nicht ein, den ich fragen konnte. Wenn ich also tatsächlich dorthin wollte, würde ich wohl oder übel laufen müssen. Und ob ich das in meinem gegenwärtigen Zustand schaffen würde, war ziemlich fraglich.
    Auf wundersame Weise kam ich doch noch pünktlich an und war letztendlich sogar dankbar für das

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