Die Verraeterin
tupfte ihren Arm mit Alkohol ab.
»Wie lange wird es dauern?«
»Nicht lange.« Vorsichtig tupfte er auch Xanders Arm ab und legte ihn dann mit der Handfläche nach oben auf dessen Hüfte, von wo er jedoch immer wieder herunterrutschte. »Wenn Sie ihn bitte so halten könnten«, sagte er zu Mateo. Der Killer folgte stumm seinen Anweisungen. Er beugte sich nun über den Tisch, sodass seine riesige Gestalt das Licht von der Lampe an der Decke fast völlig verdeckte.
Morgan schloss die Augen und atmete durch ihre Nase. Sie versuchte, nicht an die gewaltige Dummheit zu denken, die sie da gerade beging.
Sie spürte einen schmerzhaften Stich in ihrem Arm und dann das Eindringen kalten Metalls in ihre Vene. Es folgte das Herausziehen des Spritzenkolbens, wodurch das Blut aus ihrem Körper gesogen wurde. Dann nichts mehr.
Ohne ihre Augen zu öffnen, fragte sie leise: »Funktioniert es?«
»Ausgezeichnet«, murmelte Bartleby. »Noch einen kurzen Moment, und es wird in seine Vene …« Xander zuckte so heftig zusammen, als ob er einen elektrischen Schock erhalten hätte.
Er riss die Augen auf. Sein großer Körper neben ihr spannte sich auf einmal so heftig und kraftvoll an, dass sowohl Mateo als auch Tomás ihre liebe Not hatten, ihn festzuhalten und auf den Tisch zu pressen.
»Was ist los?«, rief Morgan panisch. Sie setzte sich abrupt auf. Alles drehte sich vor ihren Augen. »Was ist passiert?«
»Es ist alles in Ordnung. Das ist völlig normal«, beruhigte Bartleby sie und streckte die Hand aus, um zu kontrollieren, ob die Nadel in ihrem Arm nicht herausgerutscht war und die Verbindung zu Xander noch immer bestand. Er warf ihr einen merkwürdigen Blick von der Seite zu. »Ihr Blut ist nur in seinen Körper eingedrungen. Bitte halten Sie sich so still wie möglich. Er wird sich gleich daran gewöhnt haben.«
Morgan beobachtete fasziniert und verblüfft, wie Xander sich tatsächlich daran gewöhnte.
Zuerst entspannten sich die Muskeln in seinem Arm. Dann ließ die Verkrampfung in seinem Kiefer, seinem Rücken und seinen Beinen nach. Mit einem leisen Stöhnen, das durch seinen ganzen Körper lief, ließ er sich auf den kühlen, polierten Holztisch sinken und gab dann einen langen, bebenden Seufzer von sich. Er strahlte eine pulsierende Hitze aus, als ob er auf einmal von unsichtbaren Flammen erfasst worden wäre.
Auch Mateo und Tomás entspannten sich und atmeten hörbar erleichtert auf. Sie bedachten einander mit demselben Blick, mit dem sie gerade auch der Doktor angesehen hatte, und auf einmal war ihr die ganze Sache peinlich. Sie hatte überreagiert. Wahrscheinlich hielten die Männer sie jetzt für eine hysterische Zicke.
»Ich habe noch nie erlebt, wie so etwas funktioniert«, gab Morgan ein wenig kleinlaut zu. Sie war das einzige Mädchen unter vier Brüdern gewesen, und obwohl ihre beiden Zwillingsbrüderpaare jünger waren, hatte man ihnen – gemäß ihres Geschlechts – wesentlich mehr erlaubt und nachgesehen. Obwohl Morgan klüger, schneller und stärker war, wurde sie als Mädchen stets anders behandelt. Bis ihre Mutter gestorben war. Dann ließ sie sich nicht mehr halten …
Sie blickte zu den Männern auf. »Ich habe nicht gedacht, dass es so … so dramatisch sein würde.«
»Das ist es gewöhnlich auch nicht«, meinte Bartleby. Er runzelte die Stirn und warf dann einen weiteren raschen Blick in Mateos Richtung. »Es ist nichts Ungewöhnliches. Aber diese Art von Reaktion passiert normalerweise nur bei …«
»Halt die Klappe, Doc«, unterbrach ihn Tomás harsch. »Wenn du nicht wie der Typ auf dem Balkon aussehen willst, dann halt jetzt die Klappe, sonst gibt’s Saures.«
Bartleby wurde bleich und schluckte. Er setzte sich abrupt auf einen der Stühle, die um den Esstisch standen.
»Lass das«, knurrte Mateo Tomás an. »Wir brauchen ihn. Krieg dich also wieder ein, und halte den Ball flach vor der Ultimecia . Verstanden?«
Tomás starrte ihn so lange und intensiv an, als würde er sich gerade überlegen, ob die Vorteile einer Strangulierung im Vergleich zu einem direkten Schlag auf den Kopf überwogen. Ohne zu blinzeln, erwiderte Mateo seinen Blick. Nach einem Moment höchster Anspannung holte Tomás tief Luft, trat einen Schritt zurück und sagte: »Klar und deutlich, Bruder.«
Morgans Augen schossen zwischen den Männern hin und her. Sie fragte sich, was Bartleby hatte sagen wollen und warum Tomás ihn so jäh unterbrochen hatte. Und was zum Teufel war eine Ultimecia ? Aber sie war
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