Die Verraeterin
viel zu müde, um irgendwelche Fragen zu stellen. Und viel zu erhitzt. Das Zimmer fühlte sich auf einmal wie ein heißer Ofen an. Sie legte die Hand auf ihre Stirn und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie schweißüberströmt war.
»Haben Sie irgendetwas gegen Kopfweh, Doktor?« Sie rieb sich das linke Auge. »Ich fühle mich ein wenig …«
»Schwach?«, schlug er von seinem Stuhl aus vor und betrachtete sie mit einem merkwürdig intensiven Blick durch seine runde Brille. »Fiebrig? Schmerzen Ihre Glieder?«
Sie nickte und runzelte die Stirn. Woher wusste er das?
Er stand auf und durchsuchte seine Tasche, aus der er schließlich ein digitales Thermometer zog. »Darf ich Ihr Fieber messen?«
Sie nickte erneut, und er trat neben sie. Sanft strich er ihr die Haare zur Seite und schob das Thermometer in ihr Ohr. Nach fünf Sekunden war ein leises Piepen zu hören. Er zog das Thermometer heraus und warf einen Blick darauf. Sein Gesicht wurde noch bleicher. »Oh, je«, sagte er.
Ihr Magen verkrampfte sich vor Panik. »Was? Was ist los? Bin ich krank?«
»Nein, nein, ganz und gar nicht. Sie erfreuen sich bester Gesundheit«, murmelte er abwesend. Dann steckte er das Thermometer wieder in seine schwarze Tasche, legte den Finger auf Xanders Handgelenk und nahm dessen Puls. Schließlich wickelte er noch ein Gerät um dessen Oberarm, um den Blutdruck zu messen.
»Was ist es dann?«, fragte Morgan nach.
Er sah Mateo und Tomás auffordernd an und wandte dann wieder ihr den Blick zu. Offenbar schien er etwas Wichtiges mitteilen zu wollen. »Es ist nur eines dieser …« Er hustete. »… eines dieser Frauendinge, wissen Sie? Ich habe etwas dagegen.« Sein Gesicht lief flammend rot an.
Morgan musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Frauendinge?
»Wir sollten uns endlich auf die Socken machen, Doc«, unterbrach Mateo, der einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. Er zog ein Handy aus seiner Cargohose und wählte eine Nummer. »Wir sind in fünf Minuten unten«, sprach er in das Telefon, nachdem am anderen Ende der Leitung abgehoben worden war. »Halt dich bereit.« Er klappte das Handy zu und schob es in seine Tasche zurück. Dann wandte er sich an Bartleby. »Können wir?«
»Ja, ja«, erwiderte dieser, während er sich um Xander kümmerte. »Er hat genug Blut bekommen. Jetzt sollte er den Transport überstehen.« Sein Blick schoss erneut zu Morgan, ehe er sich abwandte und seine Sachen zusammenpackte.
Mateo streckte ihr eine Hand entgegen. »Sind Sie so weit?«
Morgan holte tief Luft und sah ihn an. »Ja, vermutlich schon.« Dann nahm sie seine Hand.
20
Xander wachte auf dem Rücken liegend in einem dunklen Zimmer auf. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen, und in seinem Bauch pochte es schmerzhaft.
Aus Gewohnheit blieb er regungslos liegen, die Augen geschlossen. Er suchte die Umgebung mit seinen Sinnen ab. Jeder, der ihn beobachtet hätte, wäre davon ausgegangen, dass er noch schlief. Aber er war in Wahrheit hellwach, angespannt und zum Kampf bereit, obwohl er sich in Rückenlage befand und der Schmerz in seiner Seite beinahe unerträglich war. Das taube Gefühl in seinen Gliedern und der Schwindel sagten ihm zudem, dass er viel Blut verloren hatte.
Außer ihm befand sich niemand im Zimmer. Er weitete sein Bewusstsein, durchdrang die Wände und wanderte durch leere Räume, bis er zu einer kalten Mauer aus Blei kam, wo er nicht weiterkonnte. Gut. Das war gut. Blei bedeutete ein sicheres Haus, was wiederum bedeutete, dass man ihn abgeholt hatte.
Und das bedeutete, dass Morgan ihn doch nicht hatte sterben lassen.
Der Gedanke an sie jagte ihm einen stechenden Schmerz durch die Brust. Er öffnete blinzelnd die Augen, hob den Kopf und sah sich um. Ein schmales Bett, ein paar schlichte Möbel, ein Badezimmer hinter einer angelehnten Tür, chirurgische Instrumente und Bandagen auf einem Rolltisch in der Nähe. Es gab keine Fenster, und doch spürte er, dass es kurz vor Sonnenaufgang war. Wie lange war er bewusstlos gewesen?
Mit einer Anstrengung, die dazu führte, dass sein ganzer Körper vom Rückgrat bis zu den Zehen von Schmerzen durchrollt wurde, schob Xander die Decke beiseite und setzte sich auf.
Er war nackt. Nur um seine Taille war ein großer, weißer Verband gewickelt, der auf der rechten Seite mit rostbraunen Blutflecken durchtränkt war. Er holte Luft und versuchte, so herauszufinden, wie tief er einatmen konnte. Zu seiner Erleichterung vermochte er seine Lungen zu füllen, ohne auf
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