Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
Vom Netzwerk:
verwässerten Whiskey gut gebrauchen.« Er riss das Steuer nach links und bretterte eine Einbahnstraße hinunter, wobei einige Fußgänger entsetzt kreischend beiseitesprangen. »Aber erwartet bloß nicht, dass ich begeistert bin. Und du zahlst, Tomás.«
    Der erste Schrei kam von irgendwo über ihnen.
    Schon davor spürte Mateo etwas, und auch Julian und Tomás hinter ihm merkten, dass etwas nicht stimmte. Während sie sich den Weg über die Tanzfläche bahnten und beobachteten, wie die menschlichen Clubbesucher wie verängstigte Welpen vor ihnen flohen, traf sie alle drei die Erkenntnis, dass irgendwo in diesem Raum sich drei weitere Ikati aufhielten, wie ein Schlag ins Gesicht.
    Sie blickten in die Richtung, aus der die Schreie kamen, und sahen drei riesige, schwarze Tiere, die sich auf ihre Hinterbeine gestellt hatten und ihre großen Tatzen auf das Metallgeländer der Balustrade im ersten Stock gelegt hatten. Gelbe Augen, die nicht blinzelten. Lange Schwänze, die hin und her schlugen. Gefletschte Reißzähne, weiß und scharf. Eines der Tiere brüllte herausfordernd.
    »Oh, verdammt«, sagte Julian. »Ich wusste, dass das keine gute Idee ist.«
    Die Musik dröhnte, die Lichter gingen noch immer an und aus, und es schien fast so, als ob keiner auf der Tanzfläche bemerkte, was geschah, bis von oben Menschen herabfielen.
    Plötzlich liefen alle durcheinander. Panik brach aus. Die Leute flohen. Schreiend und schubsend bildete sich eine Masse, die versuchte, die Treppe hinunterzustürmen. Einige ließen die Treppe gleich außen vor und sprangen stattdessen über die Balustrade. Es herrschte totales Chaos.
    »Wir können uns nicht verwandeln!«, brüllte Mateo über die Musik hinweg, als er Tomás’ Absicht wie Schießpulver roch, das ihm scharf in die Nase stieg. »Wenn der Rat herausfindet, dass wir uns in der Öffentlichkeit verwandelt haben …«
    Tomás ging in die Hocke und fletschte die Zähne. »Besondere Situation. Und Regeln sind dazu da, dass man sie bricht.«
    »Nein, Tomás!«, brüllte Mateo und packte ihn am Oberarm. »Nein!«
    Doch es war bereits zu spät. Trotz der Schreie, der Musik und dem Donnern der Füße auf der Tanzfläche hörte man ein beunruhigendes Knacken, als sich Knochen und Muskelfasern verwandelten. Dann war das laute Reißen von Stoff zu hören, und Tomás’ Klamotten fielen zerfetzt zu Boden. Auf der anderen Seite verwandelte sich auch Julian. Er war der größte Ikati, den Mateo kannte. Sein gewaltiger, kantiger Kopf mit der spitz zulaufenden Nase und den langen, silberfarbenen Schnurrbarthaaren ragte über Mateos Schultern hinweg. Im Vergleich zu Julian sah ein Grizzlybär wie ein Chihuahua aus. Auch zu seinen Füßen lag seine Kleidung in Fetzen.
    Die drei Ikati, die sich noch immer mit den Vorderpfoten auf dem Geländer abstützten, verstanden die Verwandlung als Einladung. Sie sprangen mit ihren kraftvollen Hinterläufen ab und landeten lautlos auf der Tanzfläche. Mit jeder Faser ihres Körpers drohten sie den Fremden. Die Tanzfläche war wie leer gefegt. Nur die sechs Ikati waren noch im Club.
    Wie aufs Stichwort gingen die fünf Panther in die Hocke, sprangen ab und prallten in der Luft gegeneinander. Sie stürzten übereinander zu Boden, krallten und bissen sich, und ihr lautes Fauchen war so durchdringend, dass es die Musik übertönte.
    Zu seinem großen Entsetzen entdeckte Mateo in diesem Moment eine menschliche Frau in einer Ecke des Clubs. Sie hatte sich unter einem kleinen Tisch versteckt und hielt etwas in ihrer zitternden Hand. Zuerst glaubte er, dass es sich um eine Waffe handelte. Er sah genauer hin.
    Es war ein kleiner Metallgegenstand, der blau schimmerte.
    Ein Smartphone.
    Eine Kamera.
    Der ganze Vorfall wurde gefilmt.

24
    »Warum glaubst du wohl«, fragte Bartleby Xander, als sie hinter dem Haus in zwei Liegestühlen auf einer kleinen Rasenfläche saßen, »dass du mich die ganzen Jahre über als Arzt bei dir behalten hast?«
    Xander seufzte. Er nahm an, dass er sich jetzt einen längeren Vortrag anhören musste. Ungeduldig starrte er zur schimmernden Milchstraße hinauf, die sich hinter den dahinziehenden, samtig dunklen Wolken am Himmel zeigte. Die kühle Feuchtigkeit in der Luft und die elektrische Ladung, die die kleinen Härchen auf seinen Armen aufstellte, sagten ihm, dass es regnen würde. Und zwar bald. »Wegen deines Charmes und deines guten Aussehens, nehme ich an«, erwiderte er.
    Aber das stimmte nicht ganz. In Wahrheit wusste Xander, dass er

Weitere Kostenlose Bücher