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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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dem Arzt aus ganz anderen Gründen die ganzen Jahre über die Treue gehalten hatte.
    Bartleby war Karyos Hausarzt gewesen. In seiner Verzweiflung, als er sich weigerte zu begreifen, dass Esperanza tatsächlich tot war, hatte Xander ihn an jenem schrecklichen Tag vor so vielen Jahren angerufen. Durch seine Tränen hindurch hatte er beobachtet, wie der Arzt Esperanza untersucht und dann Xander angeblickt hatte, um wortlos den Kopf zu schütteln und die schreckliche Wahrheit zu bestätigen.
    An jenem Tag war er barmherzig gewesen. Er war der einzige barmherzige Mann, den Xander jemals kennengelernt hatte – ob Mensch oder Ikati. An jenem Tag hatte das Syndikat Bartleby zu ihrem Arzt gemacht. Sie vertrauten ihm und respektierten seine Meinung, und er hatte schon mehr als einmal das Leben der Mitglieder gerettet.
    Da er den Arzt so gut kannte, musste Xander nicht einmal aufsehen, um zu wissen, dass ihm sein alter Freund einen säuerlichen Blick zuwarf.
    »Falsch. Weil ich der Einzige bin, der jemals ehrlich zu dir war«, erklärte der Arzt.
    Das klang wirklich nach einem Vortrag. Xander beobachtete, wie der Beagle des Nachbarn ihn durch ein kleines Loch im Zaun aus etwa fünfzig Meter Entfernung beobachtete. Der Hund knurrte und zitterte, und Xander wäre am liebsten aufgesprungen und hätte dem dummen Tier einen echten Grund gegeben, so zu zittern. »Ich will es gar nicht hören, Doktor.«
    »Ich weiß, dass du es nicht hören willst, Xander. Aber die Wahrheit könnte dir weiterhelfen.«
    Bartleby stand von seinem Liegestuhl auf, streckte sich, reckte die Arme und ließ den Kopf kreisen. Dann drehte er sich um und sah Xander an. Sein lichter werdendes Haar wurde von einem Kranz aus Sternen umgeben.
    »Aber zuerst eine Frage.«
    Xander wappnete sich.
    »Bist du in sie verliebt?«
    Xander trank den letzten Schluck einer Flasche ausgezeichneten Scotchs, die er in der vergangenen Stunde geleert hatte, während sie dasaßen und den Himmel betrachtet hatten. Dann schluckte er noch einmal, um den Frosch in seinem Hals loszuwerden. »Du hast zu viele Seifenopern gesehen.«
    »Und?«, hakte Bartleby nach einem Moment, als Xander nichts weiter sagte, nach. » Bist du verliebt?«
    »Du bist ziemlich aufdringlich, weißt du das?«, knurrte Xander und stand ebenfalls auf. Er warf die leere Whiskeyflasche gegen den Zaun und hörte befriedigt, wie der Beagle laut aufjaulend in der Nacht verschwand, als die Flasche gegen das Holz knallte.
    »Und du drückst dich vor einer klaren Antwort.« Der Arzt betrachtete ihn durch seine Brille und rückte seine Fliege zurecht. »Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich kann dich verstehen. Aber ich glaube, dass eine gewisse Klarheit, was dieses Thema betrifft, die ganze Sache für alle Beteiligten einfacher machen würde.«
    »Klarheit«, wiederholte Xander verächtlich, wobei er die beiden Silben betont in die Länge zog. »Du hast wirklich zu viele Seifenopern gesehen.«
    »Ich möchte damit nur sagen«, fuhr Bartleby fort, von Xanders Sarkasmus ungerührt, »dass du keine vernünftige Entscheidung darüber treffen kannst, wie du dich verhalten sollst, solange du dir nicht darüber im Klaren bist, wie deine Gefühle für diese Frau genau aussehen.«
    »Diese Zielperson«, verbesserte ihn Xander mit harter Stimme. »Diesen Job. Dieses Opfer.«
    »Hmm«, meinte der Arzt.
    »Und es gibt keine Entscheidung darüber, was ich tun werde. Ich werde ganz einfach …«
    Was? Was würde er ganz einfach tun?
    Bartleby zog die Augenbrauen hoch und wartete. Xander fuhr sich mit einer schneidenden Bewegung über den Hals.
    »Na bitte«, entgegnete der Arzt. »Du wirst dieser Frau kein einziges Haar krümmen.«
    »Ich will deine Theorie hinter dieser Aussage gar nicht erst hören.«
    »Da gibt es keine Theorie. Du bist in Morgan verliebt. Selbst dein Blut weiß das! Warum gibst du es nicht einfach zu?«
    Xander seufzte und massierte sich die Schläfen. »Du bist gefeuert.«
    »Schon wieder?«
    Es war ein Scherz, den sie immer wieder miteinander trieben. Xander hatte Bartleby in den letzten zwanzig Jahren drei Dutzend Mal gefeuert. Er meinte es nie ernst. Der alte Mann war ihm schon lange viel zu vertraut geworden.
    Xander hoffte diese ungewollte Unterhaltung dennoch damit beenden zu können und machte sich auf den Weg ins Haus zurück. Ein leichter Wind ließ die Bäume am Zaun rascheln, und ein gewaltiger Donnerschlag erschütterte die Fenster. Gerade als er die Hand hob, um die Hintertür zu öffnen, erklärte

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