Die verratene Nacht
zerkratzen, die ihren Sohn derart missbrauchte. Und ohne dass er dachte, dass sie etwas gegen diese Beziehung hatte.
„Ich glaube, ich habe meinen Pullover dort drüben gelassen“, sagte Jennifer in einer aalglatten Stimme. „Ich geh’ ihn holen. Ok, Schätzchen?“ Das Mädchen hatte immer noch einen Katze-die-gerade-eine-fette-Maus-verspeist-hat-Gesichtsausdruck. „Ich bin gleich wieder da.“
Selena behielt ihre Gedanken eisern für sich und sie konnte nur beten, dass die Dolche, die sie innerlich fühlte und wetzte, ihr nicht aus den Augen schossen, als das Mädchen den Weg entlang fortging.
„Es tut mir Leid, dass du es auf diese Weise herausgefunden hast, Mom“, sagte Sam.
„Wie lange geht das denn schon so“, schaffte sie zu fragen.
„Erst seit ein paar Tagen. Ich weiß, du denkst wahrscheinlich, dass die Dinge sich zu schnell entwickeln“,– dreimal Scheiße, ja! –, „aber sie ist wirklich Giga. Und sie ist so erwachsen, weißt du?“,– ja, ich weiß! –, „also, egal, ich werde sie nach Hause bringen, bevor es zu schnell dunkel wird“, sagte er. „Außer es macht dir nichts aus, dass sie heute Nacht hier bleibt?“
Selena verschluckte sich fast an ihrer Zunge und war nicht so erfolgreich damit, Jennifer weiter zu ignorieren, als sie wieder auf dem Pfad auftauchte. „Ich halte das für keine gute Idee“, war alles, was Selena da herausbrachte. Mach ihr kein Kind. Bitte, mach ihr kein Kind! Es war ein fast gotteslästerlicher Gedanke, aber das war ihr egal.
Sam schien das anstandslos hinzunehmen. Vielleicht dachte er bei sich, dass er die Dinge mit seiner Mutter heute Abend schon weit genug getrieben hatte. „Ok, Mom. Aber ich denke, wir werden bald mal über das hier reden müssen.“
„Das halte ich für eine sehr gute Idee“, sagte Selena, „ich sehe dich dann gleich nachher wieder drinnen.“
Wie betäubt, wütend und mit einer nicht unbeträchtlichen Übelkeit im Magen, spazierte sie davon ... zuerst betont gemächlich und dann schneller und schneller, als die Wut sie vorantrieb. Diese kleine Schlampe.
Sie würde nicht tatenlos zusehen, wie ihr Sohn missbraucht wurde und man ihm wehtat, nur weil Jennifer etwas klarstellen wollte. Das Mädchen hatte bislang keinen zweiten Blick an Sam verschwendet. Und es war ja nicht so, als ob es in Yellow Mountain nicht mehrere Single-Männer geben würde.
Selenas Lippen verdrehten sich gegeneinander und sie stapfte weiter, froh über diese Schutzmauern und das große Gelände, auf dem sie ihre Wut austoben konnte, ohne sich über den Einbruch der Dunkelheit Sorgen machen zu müssen.
Was zum Teufel kann ich tun?
Was sie als einen beruhigenden, Gedanken-klärenden Spaziergang gedacht hatte, um die Abendblumen zu riechen und Franks Garten einen Besuch abzustatten, war zu einem weiteren Dilemma geworden. Warum? Und noch einmal, Warum ?
In dem Moment überraschte sie ein unbekanntes Geräusch. Selena hielt inne und schaute sich um. Sie war mit weit ausholenden Schritten weiter in die abgelegenen Ecken des Geländes gestapft, als sie es seit Monaten getan hatte. Wahrscheinlich sogar Jahre. An Franks riesigem Gemüse- und Kräutergarten vorbei und auf diese Ansammlung von Bäumen zu, die sich weit im westlich gelegenen Ausläufer des Geländes erhob. Frank hatte noch eine zweiten Garten im Süden, gut getarnt mit Bäumen und Schrott drum herum, alles sorgfältig arrangiert, um es außer Sichtweite der Kopfgeldjäger zu halten, wenn die vorbeikamen.
Aber hier drüben im westlichen Teil, wo die Bäume hoch und dicht wuchsen, konnte sie sich an nichts außer einer Sammlung von überwucherten, verrosteten Maschinenanlagen erinnern.
Das Geräusch kam von dort und es klang wie ein tiefes Grollen, gefolgt von einem langen Stöhn-Kreischen. Und ... waren das Lichter ?
Da zwischen den Bäumen?
Die Sonne stand tief, aber es war noch nicht Abenddämmerung. Dann sah sie es wieder ... eine rasche Bewegung oberhalb der Bäume. Und Lichter. Und noch mehr merkwürdige Geräusche...
Selena ging näher ran, einen Pfad entlang, der überwuchert und vernachlässigt war. Die Geräusche wurden lauter und da war definitiv Bewegung ... aber als sie näher rankam, versperrte die Höhe der Bäume den Blick auf die Lichter.
Dann gelangte sie durch ein dichtes Gestrüpp von Büschen hindurch und fand sich auf der Lichtung mit all den Maschinen wieder.
Sie blieb stehen, überwältigt und fasziniert von dem Anblick, der sie hier begrüßte. Von dem Wildwuchs
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