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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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noch mit dem freundlichen Ausdruck im Gesicht, ohne das Misstrauen, mit dem die anderen uns begegnen. Dann geht er auf mich zu und streckt die Hand aus, aber nicht, um meine zu schütteln, sondern um mein Kinn zu berühren und mir eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Er betrachtet mich mit geradezu durchdringender Aufmerksamkeit.
    Ich sage immer noch nichts, lasse ihn gewähren, ohne zurückzuzucken. Schließlich tritt er einen Schritt zurück und lächelt, als hätte ich ihm etwas geschenkt.
    »Man hat mir gesagt, du bist Ria. Mein Name ist Quirin.« Er reicht mir seine Hand.
    Das also ist Quirin, der die gelochte Scheibe erhalten sollte, die ich gefunden habe. Einen der Bewahrer hat Fiore ihn genannt.
    Ich ergreife seine Hand und erwidere sein Lächeln, wortlos. Es ist viel aufschlussreicher, andere ein Gespräch beginnen zu lassen, diesen Vorteil werde ich nicht aus Höflichkeit verspielen.
    »Fiore hat mir von dir erzählt. Du hast gestern interessante Dinge aufgestöbert, ich danke dir.«
    Kein Wort darüber, wie die Gegenstände heißen.
    »Schön, wenn etwas Nützliches dabei war«, erwidere ich.
    Immer noch hält Quirin meine Hand, dreht sie in seiner, betrachtet die vom Graben aufgeschürften Handflächen. »Es muss schwer für euch sein«, murmelt er.
    Auf Mitgefühl – echtes Mitgefühl – war ich nicht eingestellt und es wirft mich für einen Moment aus der Bahn. Ich höre mich zitternd einatmen. Zweifellos hat es auch Quirin gehört, aber er übergeht es mit einer Eleganz, die mich an Grauko denken lässt.
    »Einfach ist es nicht«, stimme ich zu und bringe tatsächlich ein Lächeln zustande. »Aber das gilt schließlich für alle hier.«
    Quirin schmunzelt und deutet auf den Mann mit der Halbglatze und den Sentinel-Trophäen. »Heute Abend sollt ihr es jedenfalls warm haben. Fürst Vilem gestattet, dass du und deine Freunde mit uns in der Halle esst. Ich hoffe, dass wir dann Gelegenheit haben werden, uns ausführlich zu unterhalten. Ich interessiere mich sehr für eure Welt.«
    So, wie Quirin das sagt, hätte es auch aus dem Mund einer meiner Mentoren kommen können. Höflich, unter Einhaltung aller Umgangsformen. Er ist der Erste hier, bei dem ich beinahe vergessen könnte, dass er ein Prim ist.
    Trotzdem schweift mein Blick unwillkürlich zu dem anderen Mann, der bisher noch kein Wort gesagt hat. Fürst ist ein Titel, den die Clanmitglieder ihrem Anführer verleihen, das weiß ich von Grauko. Aber ich habe mir diese Fürsten immer ganz anders vorgestellt. Einerseits wilder, andererseits prächtiger. Nicht so schweigsam, vernarbt und bedrückt.
    Erst als die Stille merkwürdig lange andauert, wird mir klar, dass eine Entgegnung von mir erwartet wird.
    »Danke«, sage ich hastig. »Mir geht es genauso, ich interessiere mich sehr für Ihre Welt.«
    Quirin deutet eine Verbeugung an. »Dann wird uns der Gesprächsstoff sicherlich nicht ausgehen.«
     
    Ich würde vor diesem Essen gern noch mit den anderen reden – mit Aureljo vor allem. Es wäre gut, wenn wir eine gemeinsame Strategie hätten, vielleicht könnten wir in Quirin einen Verbündeten finden.
    Aber sie lassen mich nicht in den Keller, ich werde für den Aufbau der Tafel eingeteilt. Zusammen mit einigen anderen schleppe ich grob zusammengezimmerte Tische in die Halle, sie werden aneinandergereiht, bis ein großes U entsteht.
    Zwischendurch habe ich Zeit, den Saal näher zu betrachten. Vor allem den Wandschmuck – lauter merkwürdige Trophäen. Es gibt auch Bilder, ähnlich wie die in Bajas Quartier, die Blumen zeigen. Daneben sind zwei gekreuzte Knochen an die Wand genagelt, rechts davon hängt ein blaues Schild, auf dem ein weißer Pfeil und das Wort Einbahnstraße abgebildet sind. An einer anderen Stelle entdecke ich einen Wolf, mit ungeschickten Strichen direkt auf die Mauer gemalt.
    Ohne dass ich es bemerkt habe, hat Tomma die Halle betreten. Nun sitzt sie auf einem der Hocker, die gerade hereingeschleppt wurden, und sieht höchst zufrieden aus. Mein erster Reflex ist es, zu ihr zu laufen – aber das wäre ein Fehler. Sie ist nicht allein. Yann zieht sich ebenfalls einen Hocker heran. Es ist das erste Mal, dass ich ihn ohne seine Keule sehe.
    Die beiden sprechen miteinander, er grinst, spielt mit einer Strähne, die sich aus Tommas Zöpfen gelöst hat. Dann legt er einen Arm um ihre Schultern und sie schmiegt ihren Kopf an seine Brust.
    Du musst das nicht tun, will ich ihr zurufen. Aber allem Anschein nach ist es genau das, was

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