Die Verratenen
sie möchte, auch wenn ich es kaum glauben kann. Ausgerechnet diesen Widerling hat sie sich ausgesucht? Erinnert sie sich nicht mehr daran, dass er es war, der am lautesten unseren Tod gefordert hat? Dass er sie barfuß durch den Schnee laufen sehen wollte?
Ich versuche, dicht an den beiden vorbeizugehen, um mitzubekommen, worüber sie sprechen, während ich die Reste von etwas hereintrage, das früher einmal ein Regal gewesen sein mag.
»… eine spezielle Art von Champignons, die gut mit Kälte zurechtkommt«, sagt Tomma gerade.
Aha, sie erzählt ihm etwas über ihre Forschungsprojekte. Ich sehe den Prim nur von hinten, es ist schwer zu sagen, ob ihn das Thema interessiert. Jetzt wickelt er wieder eine von Tommas Haarsträhnen um seinen schmutzigen Zeigefinger und ich drehe mich weg.
Ich bräuchte eine Minute Ruhe, um Tommas Verhalten einzuordnen. Will sie bei Yann gut Wetter machen und für Vertrauen sorgen? Will sie sich persönliche Vorteile verschaffen? Oder mag sie den Kerl? Ausgerechnet ihn?
Dich stört, dass er ein Außenbewohner ist, nicht? Mein Gewissen hat jetzt offenbar Graukos Stimme. Du findest, sich mit ihm abzugeben ist unter Tommas Würde.
Nein, protestiere ich innerlich und unterdrücke das Bild von Sandors Gesicht, das in mir aufkeimt. So ist das nicht. Yann ist ein furchtbarer Mensch, das muss Tomma doch sehen. Ich weiß doch, welche Angst sie hatte, vor drei Tagen, in der Ruine.
Irgendwann, während ich eine Art Bank hereinschleppe, bemerkt Tomma mich. Sieht meinen Blick. Sie winkt mir flüchtig, dann wendet sie sich wieder dem Wütenden zu.
»Er heißt Yann«, erklärt sie mir wenig später, als ob ich das noch nicht wüsste.
Die Halle beginnt sich zu füllen und jedes Mal, wenn jemand die Tür öffnet, weht ein Schwall Bratenduft herein. Tommas neuer Freund hat sich gerade aufgemacht, um mit den Jägern zu reden, die am anderen Ende der Halle stehen und ein Feuer in Gang halten.
»Erinnerst du dich nicht mehr? Er wollte mir die Kehle durchschneiden und war ganz scharf darauf zu sehen, wie lange du ohne Stiefel im Schnee durchhältst. Er ist nicht in Ordnung. Halte dich von ihm fern!«
Tomma winkt ab, lässig. »Das war, bevor er wusste, dass wir in Ordnung sind. Er und ich, wir haben heute viel miteinander geredet.« Sie verzieht spöttisch den Mund. »Das findest du doch immer so wichtig. Reden. Ich habe ihm genau erklärt, was passiert ist. Yann hasst die Sphärenbewohner, das ist richtig, aber er sagt, wir sind jetzt auch Opfer.«
Dass sie ihm so viel über uns erzählt hat, gefällt mir nicht. Auch wenn ich die Prims nicht studiert habe, traue ich mir zu, einen mit schlechtem Charakter zu erkennen.
Ich wechsle das Thema. »Wo steckt eigentlich Aureljo? Ihr wart doch heute beide bei den Sammlern.«
Sie nickt. »Die anderen müssten auch bald da sein. Es gibt einiges zu schleppen, wir haben Sachen gefunden, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Eine Leiter aus Aluminium, dann eine Art Schrank mit Düsen im Innern – Andris sagt, das muss alles hergebracht werden.«
»Und dich hat er früher gehen lassen?«
Sie lächelt und wirft ihre Zöpfe nach hinten. »Meine Erkältung ist wieder zurückgekehrt. Ich hatte ziemliche Halsschmerzen und meine Augen sind auch schon wieder entzündet, siehst du? Yann hat gemeint, die schwere Arbeit wäre nichts für mich und ich solle lieber mit ihm nach Hause gehen.«
Die Art, wie sie das sagt, wie sie dabei den Kopf schief legt, so sehr mit sich selbst zufrieden, weckt in mir das Bedürfnis, einen ihrer Zöpfe zu packen und kräftig daran zu reißen. Ihre Augen sind kaum gerötet und der Husten, den sie mir jetzt vorführt, war schon mal beeindruckender. Und deswegen lässt sie allen Ernstes Aureljo allein weiterschuften? Nachdem er sie den halben Weg von der Ruine zur Clansiedlung getragen hat, damit sie sich die Füßchen nicht abfriert.
»Siehst du«, sagt Tomma in meine Gedanken hinein. »Ich komme bestens mit schwierigen Situationen klar, besser als ihr anderen. Auf meine Art.«
Daher weht also der Wind. Sie will mir immer noch beweisen, dass ich unrecht hatte, vor drei Tagen, als ich ihre Fähigkeit, mit Krisensituationen umgehen zu können, bezweifelt habe. Ich fluche innerlich. Wenn sie schon nicht ausreichend Lektionen in Emotionskontrolle bekommen hat, warum hat sie dann nicht wenigstens Risikoabwägung belegt? Dann würde sie Yann nicht so nah an sich heranlassen. Ausgerechnet ihn.
»Herzlichen Glückwunsch«, sage ich. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher