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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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abgegeben hätte, seine Beobachtungsgabe ist ausgeprägt und sein Wissenshunger gewaltig. Als hätte er selbst einmal in einer Sphäre gelebt. Er ist der untypischste Prim, der mir bislang begegnet ist.
    »Ein sehr freundliches Angebot, uns in der Bibliothek arbeiten zu lassen«, meint Aureljo. »Allerdings glaube ich nicht, dass ich es annehmen werde.«
    »Ach?« Quirin schmunzelt. »Du hast andere Pläne?«
    »Ja.«
    Das Wort hängt in der Luft, eine einzige Silbe, vollgepackt mit Entschlossenheit. Quirins Miene wird ernst.
    »Wir sollten uns ungestört unterhalten.« Er steht auf, richtet seinen weißen Mantel und führt uns in einen Nebenraum, in dem Felle zum Trocknen aufgespannt sind.
    »Und wie sehen diese Pläne aus?«
    Aureljo holt tief Luft. »Für den Clan sind wir eine Bürde. Wenn ihr uns gehen lasst, werde ich versuchen, die nächste Sphäre zu erreichen.«
    Also hat er eine Entscheidung getroffen. Einfach so, über unsere Köpfe hinweg.
    Er sieht niemanden von uns direkt an. Verstehe. Er will weder, dass wir uns verpflichtet fühlen, ihm zu folgen, noch, dass wir versuchen, ihn davon abzubringen.
    »Da mache ich auf keinen Fall mit«, platzt Tycho heraus. »Das bisschen Sicherheit aufgeben, das wir uns so hart verdient haben? Wieso willst du das tun?«
    »Das wird er nicht.« Fleming ist blass geworden. »Nicht wahr, Aureljo? Du weißt, dass das verrückt wäre.«
    Aureljos Blick ruht auf einem hellgrauen Fell, das einmal einem riesigen Wolf gehört haben muss. An den Pfoten ist es so weiß wie Quirins Bart.
    »Es ist nicht verrückt, sondern das einzig richtige Vorgehen.« Er hebt den Kopf, und da ist es wieder, sein Charisma, das ihn zur Nummer 1 gemacht hat. Ich kenne ihn schon lange, doch zum ersten Mal sehe ich, wie er es sich förmlich überstülpt. Als er jetzt lächelnd in die Runde sieht, ist es fast unmöglich, an ihm zu zweifeln. Tycho beißt sich auf die Lippe.
    »Ich bin doch nicht dumm«, sagt Aureljo. »Ich weiß, dass der Sphärenbund uns jagt. Aber seit ich hier bin, habe ich eins gelernt: Ein Wild, das einem den Rücken zuwendet und flieht, tötet man leichteren Herzens als eins, das stehen bleibt und sich stellt.«
    Seine Körperhaltung, seine Stimme, seine Selbstsicherheit – ich weiß, welche Techniken er einsetzt, trotzdem funktionieren sie auch bei mir. Er hat unrecht, aber ich will ihm zustimmen. Ich kneife mir fest in die weiche Seite meines Unterarms.
    »Ich will ein Gerichtsverfahren nach den Gesetzen der Sphären, in dem uns erklärt wird, was wir verbrochen haben sollen. Irrtümer sind da, um sie aufzuklären.«
    Dantorian ist schon auf seiner Seite, er lächelt, humpelt einen Schritt auf Aureljo zu. Tycho ist zumindest verunsichert.
    Nur Fleming protestiert. Er hat seine Hände zu Fäusten geballt, so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. »Du bringst uns damit alle um, ist dir das klar? Auch wenn du ganz allein nach Vienna 2 gehst, edel und aufrecht, ganz die Nummer 1.« Er schließt kurz die Augen. Öffnet sie wieder. »Sobald du die Sphäre betrittst, sperren sie dich ein. Du bekommst kein ordentliches Verfahren oder ein Gespräch, sondern Wahrheitsserum. Und rate mal, was sie dich als Erstes fragen werden?«
    Wahrheitsserum. An Aureljos gerunzelter Stirn lese ich ab, dass er daran nicht gedacht hat.
    »Sie werden dich fragen, wo wir anderen stecken«, gibt Fleming sich selbst die Antwort. »Und du wirst es ihnen sagen, ob du willst oder nicht. Mit sämtlichen Details, die dir einfallen.«
    Damit nimmt er Aureljo den Wind aus den Segeln. »Ich würde nie …«, beginnt er, beendet den Satz aber nicht. Manche Dinge kann man einfach nicht garantieren.
    Quirin hat die Diskussion mit hellwachen Augen verfolgt. »Ich finde Aureljos Idee ausgesprochen gut«, sagt er und ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielt seine Lippen. »Vorausgesetzt natürlich, alles ist durchdacht. Dann kann man lange Zeit in einer Sphäre leben, ohne aufzufallen. Ich habe das selbst ein Jahr lang getan.«
    Alle Köpfe wenden sich ihm zu.
    »Sie haben in einer Sphäre gelebt?« Tycho kann es nicht fassen. »Aber … ich habe bei uns nie einen Pri … einen Außenbewohner gesehen. Nie!«
    Quirin lächelt verschmitzt. »Wie oft warst du bei den Wäschern, den Reinigern, den Entsorgern? Hast dich mit ihnen unterhalten? Es gibt Mittel und Wege, um in eine Sphäre zu gelangen und unbeschadet von dort wieder zu verschwinden. Und es gibt auch Mittel und Wege, für einige Zeit dort zu leben.

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