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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Elternlosen. Gezeugt im Reagenzglas, herangewachsen in einer künstlichen Gebärmutter.« Ist das Mitleid, was ich da aus Quirins Worten heraushöre?
    »Ohne Familie aufgewachsen. Wart ihr sehr einsam?«
    »Nein.« Ich denke an mein Zimmer zurück, an das Bild mit der Blume. Sonnenblume.
    Die Dämmerung weicht allmählich der Dunkelheit und das Gespräch hat mich in merkwürdig sentimentale Stimmung versetzt. Als ich den Weg zum Clangebäude einschlage, folgen mir Quirin und Fiore.
    »Das ist gut«, knüpft Quirin an meine einsilbige Antwort an. »Kein Kind sollte ohne jemanden aufwachsen müssen, der es liebt.«
    Hat Baja mich geliebt? Ja. Natürlich. Hätte sie es nicht getan, wäre ich nicht so glücklich gewesen.
    »Familien«, erkläre ich Quirin dennoch, »werden überschätzt. Eltern stehen ihren eigenen Kindern zu nah, um sie optimal fördern zu können. Bei uns war das anders und es war gut.«
    Ich erwarte Widerspruch, doch der kommt nicht. Quirin scheint vollauf damit beschäftigt zu sein, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Als wir bei der Halle ankommen, legt er mir eine Hand auf die Schulter. Gleich wird er etwas sagen, etwas Bedeutsames und Wichtiges. Ich kann es in seinem Gesicht sehen, doch es kommt nichts über seine Lippen. Er drückt nur meine Schulter, dann dreht er sich um und geht hinein.
     
    Quirins Anwesenheit mildert den Unwillen, der uns von allen Seiten entgegenschlägt, nur geringfügig, aber niemand bespuckt oder beschimpft uns, solange er zwischen uns an der Tafel sitzt.
    Um uns herum brodelt die Gerüchteküche. Weitere Schlitzer sind angeblich gesehen worden und sie sollen Sentinel-Waffen bei sich haben. Schockstäbe. Gewehre.
    Ein Clanmitglied ist von einem Stein verletzt worden und man vermutet, dass es Scharten waren. Doch unterschwellig klingt mit, dass wir an den Zwischenfällen schuld sind.
    »Sie bringen Unglück«, höre ich einen der Jäger sagen. »Bevor wir sie aufgenommen haben, war es monatelang friedlich.«
    »Ein Fehler, ich habe es gleich gesagt«, meint ein zweiter.
    Der Rest des Gesprächs wird leiser geführt, ganz offensichtlich sollen wir nichts davon mitbekommen. Die Blicke der beteiligten Männer huschen jedoch wieder und wieder zu uns.
    Wie lange werden uns Quirins Worte noch schützen, bevor die Prims doch beschließen, uns im Keller zu besuchen und ihre Knüppel mitzubringen?
    »Es wird nicht mehr lange gut gehen.« Quirin spricht aus, was ich denke.
    Bisher sind die Dinge glimpflich verlaufen, keiner der Dornen wurde ernstlich verletzt oder gar getötet. Sollte das passieren, glaube ich nicht, dass uns Quirins Recht der Drei oder das Gesetz des alten Rates helfen wird, und schon gar nicht Vilems Frieden der Halle.
    Unwillkürlich lasse ich meinen Blick über das Gedränge schweifen und entdecke Sandor. Er sitzt neben dem Fürsten und überragt ihn um einen halben Kopf. Als er bemerkt, dass ich ihn ansehe, hebt er schmunzelnd die Hand und macht das Zeichen für Wildschwein. Vermutlich soll mich das aufheitern und ich fühle tatsächlich so etwas wie Wärme in mir aufsteigen, also lächle ich zurück.
    »Wenn ihr zu mir in die Bibliothek kommen würdet«, fährt Quirin fort, »wärt ihr sicher. Niemand aus dem Clan würde euch dort etwas antun. Die Wissenssammlung ist ein Ort des Friedens.«
    Ich könnte schwören, da ist Fürsorge in seinen Augen. Wirklich geschickt. Wir mögen ihn schon jetzt und bald werden wir ihm aus der Hand fressen.
    »Ihr könntet mir helfen, die Bestände zu sichten und neue Funde zu ordnen«, fährt Quirin fort. Er beugt sich nach vorne, streicht Tycho das Haar aus der Stirn und nickt nachdenklich. »Du wärst sicher ein guter Botenjunge, würdest dich rasch in den unterirdischen Schächten zurechtfinden. Schnell auf den Beinen, oder? Du bist bald sechzehn, sagt Ria?«
    »Ja.« Die vertrauliche Berührung irritiert Tycho sichtlich. Niemand in den Sphären würde jemanden, den er kaum kennt, einfach anfassen. Aber er reagiert richtig, zuckt kaum zusammen, trotzdem zieht Quirin seine Hand zurück.
    »Und du?«, erkundigt er sich bei Fleming.
    »Neunzehn.«
    »Aha. Ebenso wie Aureljo, wenn ich recht informiert bin.«
    »Ja«, sagt der irritiert. »Darf ich fragen, wieso unser Alter so wichtig ist?«
    »Ich möchte euch einschätzen können. Der äußere Anschein ist bei Lieblingen oft trügerisch.« Er deutet lächelnd auf die blasse Operationsnarbe an Aureljos Haaransatz.
    Wieder einmal denke ich, dass Quirin einen guten Mentor

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