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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Sentineln übergibt und ich ihn nie mehr wiedersehe. Ich möchte gern mit dem Finger die Linien seines Gesichts nachziehen, jede einzelne, sie mir einprägen.
    Ich traue Morus nicht über den Weg. Ebenso wenig wie Tudor. Kein anderer Student hat die Prinzipien zur Erreichung von Zielen bis ins kleinste Detail so studiert wie er. Laufen wir ihm gerade ins Messer?
    Ich taste nach Aureljos Hand, groß und kühl umfasst sie meine. »Hast du an Tudor gedacht?« Die Formulierung ist bewusst schwammig, sie kann alles bedeuten, aber Aureljo versteht mich richtig.
    »Ja, kurz. Das ist natürlich eine Möglichkeit, aber keine, an die ich wirklich glaube.«
    Vor der Festhalle bleibt er stehen. »Hör du dir den Vortrag an und erzähl mir später davon.«
    Mein Herz schlägt so heftig, dass der Salvator schon wieder zu vibrieren beginnt. »Viel Erfolg. Erwähne keine Bücher, ja? Auf keinen Fall, bitte. Achte auf deine Worte. Und merk dir jedes von seinen.«

8
    Das Klima ist etwas, das uns alle interessiert. Die Rednerin kommt aus einer Sphäre, die südlicher liegt, und man kann die Aufregung im Saal regelrecht spüren. Die Hoffnung auf gute Nachrichten ist in vielen Gesichtern zu lesen, auch in Tommas. Sie strahlt mich an, als hätte vor zwei Tagen Lus Sarg nicht auf derselben Bühne gestanden, auf der jetzt das Rednerpult aufgebaut ist. Ich habe plötzlich Lust, ihr zu sagen, dass sie auf einer Todesliste steht, und zuzusehen, wie ihr Lächeln in sich zusammenfällt. Mein unvorsichtiger Gedanke erschreckt mich.
    »Wollen wir uns nebeneinandersetzen?« Tomma zieht mich vorwärts und deutet mit der linken Hand auf einige freie Plätze in der dritten Reihe. Das ist mir heute entschieden zu weit vorne.
    »Nein, ich suche noch jemanden.« Ich mache mich los und dränge mich gegen den Strom zurück in Richtung Ausgang. In der letzten oder vorletzten Reihe muss ich mein Gesicht nicht permanent unter Kontrolle haben.
    Einige der Zuhörer, denen ich versehentlich auf die Zehen trete, sehen mich finster an. Egal, ich entschuldige mich nicht, sollen sie mich doch für arrogant halten. Hauptsache, sie machen Platz.
    Ich habe mein Ziel fast erreicht, als mich etwas herumfahren lässt …
    »Tycho! He!«
    Derjenige, der ruft, kommt mir vage bekannt vor. Ich glaube, es ist einer der Studenten, die sich auf Datentechnik spezialisiert haben. Er winkt und versucht sich bemerkbar zu machen, doch außer mir scheint ihn niemand zur Kenntnis zu nehmen.
    »Tycho! Ich habe Elka versprochen, dass du ihr die Prinzipien der verschiedenen Sphärenleitungen erklärst!«
    Ich versuche zu erkennen, wen er meint, aber es ist einfach zu viel los, jeder der mir unbekannten Studenten, die gerade versuchen, sich in eine der vorderen Reihen zu drängen, könnte Tycho sein.
    Doch dann sehe ich etwas springen. Jemanden. In einer schwungvollen Flanke setzt er über einen leeren Stuhl und klettert über mehrere Stuhlreihen, ohne groß Rücksicht darauf zu nehmen, ob dort jemand sitzt oder nicht. Er ist klein, so blond, dass er fast weißhaarig wirkt, dünn und gelenkig. Die ärgerlichen Äußerungen, die er erntet, scheinen ihn zu belustigen, geht man nach dem schiefen Lächeln in seinem Gesicht.
    »Keine Chance, Elka versteht nicht mal, wieso es dunkel wird, wenn sie die Augen schließt«, höre ich ihn sagen.
    Noch bevor er den Kerl erreicht, der nach ihm gerufen hat, bin ich ebenfalls über eine Stuhlreihe geklettert und fange ihn ab. »Du bist Tycho?«
    Er richtet sich auf. Von Nahem betrachtet sieht er aus wie höchstens vierzehn. Die Wimpern um seine dunkelblauen Augen sind so hell wie sein Haar, aber ungewöhnlich lang.
    »Bin ich.«
    »Unter den ersten hundert, habe ich gesehen. Wieso kenne ich dich nicht?«
    Falls er die Frage seltsam finden sollte, lässt er es sich nicht anmerken. »Weil ich zu schnell für deine müden Augen bin. In drei Monaten knacke ich die 50, wirst sehen, und jetzt lass mich weiter, ich muss die Lücken stopfen, die die Akademie bei der Ausbildung der Minderbegabten hinterlässt. Immer das Gleiche.« Er spricht schneller als jeder andere, den ich kenne, und drückt sich seitlich an mir vorbei. Ich mache ihm Platz, lasse ihn aber nicht aus den Augen. Ohne Umschweife beginnt er, auf Elka einzureden, unterstreicht jeden Satz mit ausladenden Handbewegungen und achtet nicht darauf, ob er dabei vorbeilaufende Studenten trifft.
    Das, was ich von seiner Erklärung mitbekomme, ist so präzise und brillant einfach formuliert, dass sogar Elka

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