Die Verratenen
weg, hauche wieder.
Morus und Tudor. Ich warte kurz, wische, hauche. Tudor soll Nummer 1 werden.
Ob Aureljo das versteht?
Er sitzt wie versteinert da, dann beseitigt er meine Botschaft mit der flachen Hand. Haucht selbst gegen die Hermetoplastwand.
Glaube ich nicht.
Er wischt den Satz weg. Zu großer Aufwand.
Damit hat er recht, aber wer weiß schon, ob es nicht um viel mehr geht als nur um den ersten Rang für Tudor. Morus will Einfluss darauf nehmen, wie die Sphären künftig geführt werden. Aureljos sanfte Einstellung bezüglich der Clans gefällt ihm ganz sicher nicht und mit Tudor hätte er einen Mann an der Spitze, der den Außenbewohnern gegenüber keine Gnade kennt.
Morus hat auch damit zu tun, schreibe ich. Und dann, fast hätte ich es vergessen: Tycho sagt, Salvatoren haben Abhörfunktion.
Aureljo sieht mich zweifelnd an, er widerspricht zwar nicht, aber ich kenne ihn einfach schon zu lange, um sein Schweigen nicht deuten zu können. Sein Glaube an das Gute im Menschen sitzt tiefer als die Fundamentspfeiler der Sphären.
Wir sind zu wertvoll, schreibt er nach einer längeren Pause.
Damit liegt er richtig, wir sind wertvoll, wir sind die Zukunft, wir sind das Beste, was die letzte Generation hervorgebracht hat. Vielleicht ist genau das unser Todesurteil.
Stimmt, schreibe ich. Wir sind die Elite.
Ich wische die Worte weg, um mehr Platz zu haben.
Gerade deshalb sind wir als Verräter eine enorme Gefahr.
Zurück in meiner Wohneinheit, will ich als Erstes den Salvator abnehmen, den Spion an meinem Handgelenk, doch er meldet eine übersprungene Mahlzeit. 2 Einheiten Eiweiß, 5 Einheiten Kohlehydrate, 0,5 Einheiten Fett, verkündet die blinkende rote Schrift.
Aufzufallen kann ich mir nicht leisten, also drücke ich auf Ausgleichen und halte meinen Arm ans Lesegerät.
Ich habe in der Mensa nichts gegessen und ich habe es noch nicht einmal gemerkt. Um meine Aufmerksamkeit ist es schlechter bestellt als um meinen Ernährungszustand, doch eine Funktion, um dieses Defizit auszugleichen, fehlt dem Salvator.
Die nächsten Tage verlaufen ruhig und so normal, dass am dritten Tag meine innere Unruhe nachzulassen beginnt. Ich habe wie besessen nach dem farblosen Sentinel Ausschau gehalten, aber er scheint wieder abgereist zu sein. Ich habe meine Übung bei Grauko mit Bravour hinter mich gebracht – Umstimmung meines Gegenübers. In etwas mehr als einer Stunde hatte ich ihn, der in die Rolle eines Clanfürsten geschlüpft war, davon überzeugt, seinen Angriffsplan aufzugeben und stattdessen mit dem Sphärenmeister zu verhandeln.
»Das war eine deiner besten Leistungen«, lobt Grauko, als ich fertig bin. »Bald werde ich dich nichts mehr lehren können.«
»Danke.«
»Ich danke dir.«
Erst als ich das Studienzimmer verlassen habe, fällt mir auf, dass Grauko mir für meine Übung keine Punkte gegeben hat.
Es sieht ihm nicht ähnlich, so etwas zu vergessen.
Wann immer Tudor meinen Weg kreuzt, ertappe ich mich dabei, ihn am Kragen packen und die Wahrheit aus ihm herausschütteln zu wollen. Er muss es mir ansehen, jedenfalls meidet er mich. Das großspurige Selbstbewusstsein, das er sonst an den Tag legt, ist wie weggewischt. In Momenten, in denen er sich unbeobachtet fühlt, sieht er bedrückter aus, als ich ihn je erlebt habe. Die lebhaften Diskussionen zwischen ihm und Aureljo finden ebenfalls nicht mehr statt, was aber an beiden liegen dürfte.
Aureljo hat sich seinerseits grüblerisch in sich zurückgezogen, hin- und hergerissen zwischen der Normalität, die uns umgibt, und den zerstörerischen Gedanken, die ich ihm eingepflanzt habe.
Nachts träume ich von Nebel, der sich in beschlagene Scheiben verwandelt, auf die jemand in meiner Handschrift Tod geschrieben hat. Der Druck, mich jemand Unbeteiligtem anzuvertrauen, wird immer größer.
Ein paar Tage nach meiner letzten Lektion bei Grauko klopfe ich an Zillas Tür. Allein ihr Lächeln, das so breit ist wie alles an ihr, lässt mich freier durchatmen.
»Ria!« Sie zieht mich in ihre Praxis. Grün in allen Schattierungen, so muss man sich früher auf einer Wiese gefühlt haben, wenn Sommer war.
»Ich habe dich lange nicht gesehen! Du bist auf die 7 gereiht, nicht wahr? Großartig, ich freue mich sehr für dich!« Sie stellt ein Glas mit einer hellgrünen Flüssigkeit vor mir ab, die nach Minze riecht. »Was führt dich zu mir?«
Ich habe mich auf den Besuch nicht vorbereitet, es war ein spontaner Entschluss aus blanker Not; erst jetzt
Weitere Kostenlose Bücher