Die Verratenen
verliert.« Damit habe ich viel mehr gesagt, als ich wollte. Wenn Grauko auch nur die geringste Ahnung von der Verschwörung hat, weiß er jetzt, dass ich davon erfahren habe. Wenn nicht …
»Du leidest noch unter dem Verlust von Lu.« Es ist eine Feststellung, in deren Schatten eine Frage mitschwingt.
In mir löst sich etwas. Grauko hat anscheinend doch keine Kenntnis von dem, was der Fremde Gorgias und Morus anvertraut hat. Und er kann auch nicht wissen, dass ich seit Tagen kaum noch an Lu gedacht habe.
»Sie fehlt mir. Sehr.« Mehr zu sagen wäre nicht angebracht. Unwillkürlich streiche ich mit den Fingern über mein Gesicht, das schon bald ein anderes sein wird, und frage mich, wie ich je wieder Ruhe finden soll.
Bald, erinnere ich mich an die Stimme des Fremden.
Wenn in zwei Monaten, beim Besuch des Präsidenten, noch niemand von uns tot ist, heißt das dann, dass die Akademie es geschafft hat, uns zu entlasten? Oder muss ich das nächste halbe Jahr auf der Hut sein, vielleicht sogar ein ganzes? Für immer? Jedem Apfel misstrauen?
»Mentoren sind auch dazu da, um ihren Studenten in Krisen beizustehen«, äußert Grauko wie nebenbei. Es ist das deutlichste Hilfsangebot, das er mir je gemacht hat.
Ich stehe auf. »Das weiß ich zu schätzen.« Ich suche in seinem Gesicht nach einem ermutigenden Lächeln. Vergeblich. Er sieht mir an, dass mich etwas Ernstes beschäftigt. Natürlich. Wer, wenn nicht er?
»In drei Tagen«, er markiert einen Termin auf seinem Terminal, »zwei Studieneinheiten. Bereite dafür bitte vor: Umstimmung deines Gegenübers. Thema ist: Entscheidungen, die man nicht mehr zurücknehmen kann. Wieso vorher nachdenken besser ist als hinterher bereuen.« Und so weiter, bedeutet seine Handbewegung.
»In Ordnung.« Ein wenig erstaunt bin ich schon; das Thema erscheint mir zu undifferenziert für mein Können, vor ein oder zwei Jahren wäre es passend gewesen. Aber jetzt? Egal. Es ist das kleinste meiner Probleme.
11
Am nächsten Abend begegnet mir Fleming wieder. Ich kann mich nicht erinnern, ihn in den letzten Monaten so häufig zu Gesicht bekommen zu haben, und die Frage, ob er den Kontakt zu mir sucht, und wenn ja, warum, beschäftigt mich. Doch er beachtet mich kaum, er sitzt mit einer Gruppe Mediziner zusammen und diskutiert angeregt.
Ich bin nicht die Einzige, die Fleming beobachtet. Tycho lässt ihn ebenfalls nicht aus den Augen. Er steht ein paar Schritte von mir entfernt, gleich neben der Geschirrstation. Das leere Tablett in seinen Händen ist entweder ein Vorwand oder er hat vergessen, dass er es hält. Irgendwann spürt er meinen Blick, sein Kopf fährt zu mir herum. Als er mich erkennt, schüttelt er ihn leicht und zuckt gleichzeitig mit den Schultern. Also auch bei ihm keine Neuigkeiten, keine ungewöhnlichen Ereignisse.
Ich schlendere langsam auf ihn zu, während ich so tue, als wollte ich die Werte auf meinem Salvator überprüfen. Wir sehen uns nicht an, sprechen kein Wort miteinander. Dann sehe ich, wie Tycho mit dem Finger Zahlen auf den Tresen zeichnet. Eins. Eins. Vier.
114. Dantorian.
Tycho wendet sich zur Eingangstür und weist mit dem Kinn zu dem Tisch, der direkt daneben steht. Dort sitzen drei Studenten, zwei davon sind Mädchen, die einen Jungen in etwa meinem Alter beobachten. Er beugt sich über den Tisch und arbeitet mit einem Stück Kohle auf Neupapier. Er ist ungemein geschickt, das dünne Material, das normalerweise schon reißt, wenn man es zu intensiv betrachtet, hält seiner Bearbeitung stand. Ich wüsste gerne, was er zeichnet.
Tycho sieht erst ihn an, dann mich, dann wieder Dantorian. Senkt langsam die Lider und schüttelt sachte den Kopf.
Nicht schlecht – ich verstehe genau, was er meint. Er hat mit Dantorian gesprochen, aber auch diese Unterhaltung ist ohne Erkenntnisse geblieben.
Dafür sickert eine Erkenntnis anderer Art in mein Bewusstsein. Tychos ungewohnte Schweigsamkeit muss einen Grund haben. Er ist technisch ausgebildet und sehr talentiert, gut möglich, dass er ein wenig nachgeforscht hat …
Ich deute erst auf meinen Salvator, dann auf mein Ohr. Er lächelt bitter und nickt. Bestätigt damit meine Befürchtungen.
Man kann uns abhören, wir tragen das dafür nötige Gerät ständig mit uns herum. Wie gut, dass ich alles, was wichtig war, vor lärmerfülltem Hintergrund gesagt habe. Ich hoffe sehr, dass Aureljo meine Warnung ernst genug genommen hat, um ebenfalls auf seine Worte zu achten.
Im nächsten Moment sehe ich Morus die
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