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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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ihr werdet dafür bezahlen.
    Zwei Sekunden Stille. Drei. Dann ergreife ich wieder das Wort, schnell, bevor es einer der Sentinel tun kann.
    »Wo ist eigentlich euer Anführer? Wieso schickt er euch alleine in die Kälte?«
    »Er musste in der Bahn bleiben, er musste …« Nun senkt sich auch die Waffe des größeren Sentinel, nur wenig, aber es ist deutlich, dass meine Frage ihm Unbehagen bereitet.
    »Er wird nicht dabei sein, egal, was ihr tut. Ich finde das sehr klug von ihm.«
    Wieder eine riskante Karte, die ich ausspiele. Wenn der Mann mit der Papierstimme ein beliebter Vorgesetzter ist, bringe ich die beiden gerade gegen mich auf. Wenn nicht –
    »Du kannst uns alles erzählen, nicht wahr?« Der Angreifer, der seine Dornenkeule eben gesenkt hat, hebt sie jetzt wieder, drohend, bis fast vor mein Gesicht. Die Spitzen sind nass, das Holz fleckig. Ich verziehe keine Miene, obwohl sich mein Inneres bei dem Gedanken an das Schicksal der goldenen Sentinel verkrampft.
    »Du willst Zeit gewinnen, das ist alles. Es wird dir aber nichts nützen, wir haben Befehle!«
    Aureljo hat bisher nichts gesagt, ist im Hintergrund geblieben – besser kann niemand die Rolle des Thronfolgers spielen. Er macht es wie der Präsident selbst, der nur dann vor das Volk tritt, wenn es die Situation verlangt. Wie jetzt.
    »Ich verstehe, dass Sie Ihre Befehle nicht einfach in den Wind schlagen können. Aber ich sichere Ihnen meine Dankbarkeit und Wertschätzung als zukünftiger Präsident zu, wenn Sie sich jetzt genau überlegen, was Sie tun, und die richtige Entscheidung treffen.«
    Es wird immer dunkler um uns herum und ich spüre meine Füße kaum noch, sie sind eiskalt in den durchnässten Schuhen. Still stehen zu bleiben ist schwerer denn je, aber wir haben nun den Punkt erreicht, an dem unsere Verfolger handeln werden, so oder so.
    »Der Sohn des Präsidenten reist so schlecht bewacht durch die Außenzonen?« Der mit der Schusswaffe schüttelt den Kopf und bleckt die Zähne. »Lügen sind das, Mädchen. Märchen.«
    »Gut.« Ich lasse meine Arme sinken. »Dann erschießt mich. Bolzen, nicht Keule. Macht es sauber und schnell.« Die gefährlichste Karte. Eine kurze Bewegung mit dem Zeigefinger und der Holzpflock, der jetzt noch auf der Waffe liegt, steckt in meinem Körper. Auf die Entfernung kann der Sentinel gar nicht danebenschießen.
    Einen Moment lang sieht es so aus, als hätte ich mich verschätzt. Das Spiel verloren. Der Sentinel packt seine Schusswaffe fester und überprüft mit einem schnellen Blick, ob das Geschoss noch richtig liegt. Dann zielt er.
    Ich möchte die Augen schließen, aber das hieße aufgeben. Hinter mir höre ich Aureljos Schritte, seine Geduld ist am Ende. Gleichzeitig beginnt mein Salvator zu vibrieren, aber ich darf die Nerven nicht verlieren. Noch nicht.
    Der größere der beiden Sentinel hat seit Aureljos Auftritt kein Wort mehr gesagt. Seine ganze Körpersprache drückt Unschlüssigkeit aus. Nun richtet er zwar seine Klinge auf uns, lässt aber den Dornenstock fallen und legt seine frei gewordene Hand auf die Waffe seines Gefährten.
    »Was, wenn sie recht hat? Erinnere dich an Horab, ihn hat der Alte auch ans Messer geliefert, obwohl er ihm selbst einen Tag zuvor den Befehl gegeben hatte, die Frau in Berlin 2 zu töten. Ich mache mir gern die Finger schmutzig, aber nicht für ihn.«
    Dass sie ihrem Vorgesetzten misstrauen, ist das Beste, was mir passieren konnte. Zeit, den Mund zu halten. Abwarten, zu welchem Schluss sie ohne weitere Manipulation kommen.
    »Verdammt, ich will das nicht allein entscheiden«, sagt der andere Sentinel. Er macht einen großen Schritt auf mich zu, hebt den Bogenstock über den Kopf, ich begreife zu spät, was er vorhat, höre Aureljo schreien –
    Der Schlag trifft die rechte Seite meiner Stirn, er lässt mich taumeln, fallen. Die Welt verschwindet.

16
    Schmerz. Jede Bewegung. Kälte. Am ganzen Körper. Ich versuche mich aufzurichten, aber der Schwindel zieht mich wieder zu Boden. Wie lange ich bewusstlos war, kann ich nicht sagen. Vielleicht fünf Minuten. Vielleicht eine halbe Stunde.
    Nein, dann wäre es schon stockdunkel. Das wird es in Kürze sein, aber noch kann ich die Umrisse der Ruinen im letzten Abendlicht erkennen.
    Vor mir liegt etwas. Ich versuche, meinen Blick scharf zu stellen, vergeblich. Mit geschlossenen Augen überprüfe ich, ob mein Körper noch funktioniert.
    Die Beine lassen sich bewegen. Die Zehen spüre ich nicht mehr, mit den Fingern ist es

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