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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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verlieren die Worte ihre Bedeutung.

17
    Als ich erwache, empfängt mich eine eiskalte Welt. Trübes Licht dringt durch das kleine Fenster unseres Verstecks, das wohl einmal ein Keller gewesen sein muss. Wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, dann ist es früher Morgen.
    Mein erster Gedanke gilt den Sentineln. Sind sie noch da draußen? Haben sie uns in der Nacht gesucht oder gewartet, bis das Licht des Tages ihnen unseren Verbleib verrät?
    Ich richte mich vorsichtig auf. Es geht, ohne Schwindel und Erbrechen. Die Kopfschmerzen sind immer noch da, aber sie sind nicht mehr unerträglich. Wenn nötig, werde ich fliehen können.
    Die anderen schlafen, die Thermodecken aus den Notfallsets um sich gewickelt. Ihr Schlaf ist unruhig, Tycho tritt um sich, Dantorian zittert und Tomma hat sich zusammengerollt, die Knie am Kinn, das Gesicht in ihren Armbeugen vergraben, ihr Atem geht unregelmäßig.
    Nur Fleming ist wach. Er kauert in einer Ecke, hat die Arme um die Knie geschlungen und wippt hin und her. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, hört er sofort damit auf. »Wie fühlst du dich?«, flüstert er.
    »Besser.«
    »Kopfschmerzen und Übelkeit sind fort?«
    »Noch nicht ganz.«
    »Lass mich deinen Salvator sehen.«
    Ich krieche zu ihm, halte ihm den linken Arm hin. Alles, was ich unter meiner Decke hervorstrecke, wird sofort kalt.
    Ich beobachte, wie Fleming konzentriert von einem Modus zum nächsten wechselt, immer wieder drückt er die Eingabetaste, bekommt aber offenbar nicht das gewünschte Ergebnis angezeigt.
    »Tycho hat ihn ruiniert«, grollt er leise, um niemanden zu wecken. »Während du geschlafen hast, hat er die Sender unserer Salvatoren mit nach oben genommen und versteckt, um die Sentinel auf Trab zu halten. Er meint, sie schicken vielleicht noch einige verwirrende Signale und das könnte uns helfen.« Er legt die Stirn in Falten. »Damit bringen wir sie nur gegen uns auf. Wir sollten mit ihnen reden und ihnen Aureljos Kurzschlusshandlung erklären. Ich will mir gar nicht vorstellen, was der Bund über uns denkt.«
    Einen Moment lang kann ich nicht fassen, was er da sagt. »Sie wollen uns umbringen, Fleming. Wenn sie uns erwischen, wird es egal sein, in welcher Stimmung sie gerade sind. Dann töten sie uns.«
    »Wer behauptet das?« Er merkt, dass er seine Stimme erhoben hat, und beißt sich auf die Lippe. »Sie haben uns zunächst doch gar nicht beachtet. Erst, als wir geflohen sind.«
    Wir legen uns die merkwürdigsten Wahrheiten zurecht, wenn die Realität zu furchterregend wird. Fleming muss wie ich mitbekommen haben, dass die farblosen Sentinel die goldenen erschlagen haben, die sichtlich nicht mit einem Angriff ihrer eigenen Leute gerechnet hatten. Es ist völlig klar, dass wir die Nächsten gewesen wären. Aber Fleming hatte noch nicht die Zeit, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, und das ist zum Teil mein Fehler. Ich hätte ihm von dem Gespräch in der Bibliothek erzählen können. Und das hätte ich wahrscheinlich auch, hätte ich nicht den Eindruck gehabt, dass er es bereits wusste. Damit lag ich offenbar falsch.
    Ich wähle eine Formulierung, die die Sache kurz, aber unmissverständlich auf den Punkt bringt. »Unsere Reise war von Anfang an nur ein Vorwand. Wir sollten eliminiert werden, alle sechs, ich weiß es seit fast zwei Wochen.«
    Ich habe erwartet, dass Fleming ungläubig reagiert, aber mit einem solchen Ausmaß an Fassungslosigkeit habe ich nicht gerechnet. Eine halbe Ewigkeit lang starrt er mich einfach nur an, den Mund leicht geöffnet. Dass er immer noch meine Hand hält, hat er völlig vergessen.
    »Was heißt, du weißt es seit zwei Wochen?« Seine Überraschung ist echt. Er findet kaum Worte, öffnet mehrmals den Mund, ohne dass ein Laut herauskommt. »Wir sollen … eliminiert werden? Das ist doch … totaler Unsinn!«
    »Ich hätte es dir früher sagen müssen. Dich warnen müssen. Aber wir kennen uns kaum und du hast auf mich gewirkt, als seist du auf der Hut. Ich dachte, du hättest ebenfalls Wind –«
    »Moment«, unterbricht er mich und lässt endlich meine Hand los. »Das will ich genauer wissen. Du meinst, du hast mit einem solchen Übergriff gerechnet?«
    »Ich wusste nicht, wann oder wie.« Ich lasse Fleming nicht aus den Augen, hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht. Er muss die Nerven behalten. Unter anderen Umständen wäre ich nicht so mit der Tür ins Haus gefallen. »Ich habe ein Gespräch belauscht«, erkläre ich ihm. »Zwischen Gorgias, Morus und

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