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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Technologie anfangen wollen, die sie nicht begreifen. Aber darüber werde ich mir nicht auch noch den Kopf zerbrechen.
    Ich spähe um mich, suche nach ungewöhnlichen Reflexionen, versuche Geräusche auszumachen, die auf die Anwesenheit eines weiteren Fahnders schließen lassen. Die Vorstellung, dass der farblose Sentinel vor einem Monitor sitzt, unseren mühevollen Marsch beobachtet und uns in aller Ruhe seine Truppen nachschickt, lähmt mich.
    Egal, wohin wir uns wenden, wem wir begegnen, egal, was wir tun: Jeder ist ein Feind. Das sollte mir klar sein, seit wir aus der Magnetbahn geflohen sind, aber erst jetzt trifft die Erkenntnis mich wie ein Faustschlag.
    Über uns höre ich die schrillen Rufe von Sandors Vogel.

20
    Der Hügel, in den ich so große Hoffnung gesetzt hatte, fordert mich mehr als befürchtet. Tomma zu tragen hat mich zu viel Kraft gekostet, jetzt ist nicht mehr genug übrig, um sie mir einteilen zu können. Jeder meiner Muskeln schmerzt, als ich den rutschigen Hang nach oben gehe. Der Schnee liegt dünn hier und er muss frisch sein. Da, wo unsere Füße ihn niedertreten, zeigen sich die harten, dunklen Halme einer zähen Pflanze.
    Ihr Anblick würde mich unter anderen Umständen vor Glück schwindelig machen, doch im Moment hoffe ich nur, dass keine Sinnestäuschung dahintersteckt. Gras? Die Magnetbahn hat uns weit in den Süden gebracht und es sieht wirklich so aus, als gäbe es Grund zur Hoffnung. Der Schnee ist nicht ewig. Hier scheint er auf dem Rückzug zu sein. Es gibt auch deutlich mehr Bäume und unter denen, die groß genug sind, um Schutz vor dem Wetter zu bieten, zeigen sich immer wieder schneefreie Flächen.
    Ich hoffe, Tomma sieht das und kann meine Fragen beantworten, wenn wir die Gelegenheit bekommen, miteinander zu sprechen. Sie lässt sich immer noch von Aureljo tragen, und wenn ich es aus der Entfernung richtig erkenne, redet sie auf ihn ein, während er unserem Zug langsamer und langsamer folgt. Yann läuft neben ihm und schwingt gelegentlich seine Keule, wie ein Kind, das Spaß am Quälen hat.
    Ich sollte zurückgehen und Aureljo beistehen, den keulenschwingenden Yann in ein Gespräch verwickeln, sodass er Aureljo in Ruhe lässt. Andererseits bin ich so dankbar für jeden Schritt, den ich hinter mir habe, dass ich mich dazu nicht durchringen kann. Ich habe den Hügel fast bewältigt, fast. Wenn sich auf seiner Kuppe herausstellen sollte, dass Sandors Worte gelogen waren, werde ich mich einfach hinsetzen und nie wieder aufstehen. Ich glaube nicht, dass ich eine weitere Ebene durchqueren oder eine weitere Steigung bewältigen kann.
    Doch der Hügel enttäuscht mich nicht.
    Dahinter erstreckt sich eine ausgedehnte Ruinenlandschaft. Der Anblick von schneebedeckten Schutthaufen, alten Gebäuden ohne Dach, halb eingestürzten Häusern und verfallenen Kirchen, die wie zerbrochene Zähne aussehen. Dazwischen Reste von Straßen, die einmal glatt wie Sphärenwände gewesen sein müssen, jetzt aber, durch den Frost, aufgebrochen sind.
    Es ist eine große Stadt und manche der Häuser sehen erstaunlich gut erhalten aus. Umherziehende Clans sollten hier reichlich Unterschlupf finden.
    »Weiter«, schnauzt Andris. Es ist ihm anzusehen, dass er es eilig hat, nach Hause zu kommen. Er löst einen der Prims ab, die das tote Mädchen tragen, und beginnt mit dem Abstieg, wobei er sich nach rechts wendet. Dort verläuft eine Spur im Schnee; wahrscheinlich hat die Gruppe sie auf dem Hinweg selbst gezogen.
    Ein Stoß in den Rücken, mit dem ich nicht gerechnet habe. Sandor.
    »Hast du Andris nicht verstanden?« Seine Worte klingen völlig ruhig, eine höfliche Nachfrage, die in unbegreiflichem Kontrast zu seiner groben Handlung steht.
    Analysiere, erinnere ich mich an Graukos ständige Anweisung. Sauge jede Information auf, die dir ein Gesicht, eine Stimme, ein Zucken der Mundwinkel liefert. Eine Handbewegung, ein Innehalten, ein Atemholen.
    Aber im Moment habe ich den Eindruck, dass ich die Prims doch nicht lesen kann. Nicht gut genug jedenfalls, um uns aus dieser Situation zu retten.
    Sie sind nicht wie wir. Sie sind wie Wölfe.
     
    Es beginnt dunkel zu werden, als wir den Saum der Ruinenstadt erreichen. Tycho hat sich bereit erklärt, Tomma wieder zu übernehmen, und ich lege Aureljos Arm um meine Schultern. Er möchte sich nicht auf mich stützen, sagt er, tut es aber trotzdem. Sein Atem geht schwer. Hinter uns höre ich Tomma aufgeregt über Heidegras und erste Ausläufer von borealem Nadelwald

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