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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Schulter.
    »Haben sie nie versucht, dich zu befreien?«
    Er schluckt und blickt zu Boden. »Wenn ja, dann ist es misslungen. Ich fürchte eher, sie denken, dass ich tot bin. Ich wäre nicht der Erste, der während eines Wachgangs von einem Speer oder einem Pfeil durchbohrt wurde.« Ich kann die Trauer in seinen Worten hören und sie klingt echt. Er muss Freunde durch Angriffe der Außenbewohner verloren haben.
    Tommas dünne Stimme dringt aus einer Ecke der Zelle. »Stimmt es, dass die Prims ihre toten Feinde … essen?«
    »Dass sie …« Lennis holt hörbar Luft. »Ich weiß es nicht genau. Bei den Schwarzdornen habe ich es noch nie erlebt. Aber man sagt, dass die Schlitzer es tun und angeblich auch die Weißen Greifer. Ob es wahr ist … kann ich euch nicht sagen.«
    »Dann gibt es hier also keine Schlitzer«, stellt Tycho hoffnungsvoll fest.
    »Nicht in der Stadt«, entgegnet Lennis. »Aber im Umland haben wir immer wieder welche gesichtet. Sie sind … nicht sehr auffällig. Nicht, bis sie angreifen.«
    In Tychos Augen erstirbt jede Lust auf Fluchtpläne. Er lässt sich gegen die Wand sinken, ins Dunkel, und bettet seinen Kopf auf die angezogenen Knie.
    »Du kennst das Umland?«, knüpfe ich an Lennis’ letzten Satz an.
    »Ja. Ich war ein Sentinel der Abteilung Außenwache.«
    »Einer der Roten.« Ich lege tonnenweise Anerkennung in diese drei Worte.
    »Ja.«
    »Welche Sphäre? Ist es eine, die in der Nähe liegt?«
    »Vienna 2. Ein halber Tagesmarsch von hier.«
    Endlich. Endlich weiß ich, wo wir sind. Meine geografischen Kenntnisse sind alles andere als herausragend, aber sie erlauben eine ungefähre Einordnung. Wir sind deutlich weiter im Süden, als ich angenommen hatte.
    »Also ist es nicht mehr sehr weit bis nach Zukunft«, stellt Aureljo fest und es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass er die Sphäre Zukunft meint. Unser Reiseziel.
    »Zwei Tagesmärsche, wenn man schnell ist«, sagt Lennis. »Drei für Menschen mit Gepäck.«
    Ich frage mich, wieso die Exekutoren mit der Übernahme der Magnetbahn so lange gewartet haben. Weiter im Norden wären wir ihnen keinesfalls entkommen, die Kälte dort hätte uns viel schneller gelähmt, die spärliche Thermokleidung kaum geholfen. Wollten sie uns in Sicherheit wiegen? Aber wozu, wenn sie doch nicht wussten, dass ich gelauscht hatte.
    »Drei Tagesmärsche. Nicht weit und trotzdem unerreichbar«, meint Fleming. Er kniet neben Dantorian und verbindet die Bisswunde neu. »Ich glaube, er bekommt Fieber. Gibt es Handel zwischen dem Clan und Vienna 2?«
    Es vergehen einige Sekunden, bis Lennis antwortet. »Nicht dass ich wüsste. Nur die Grenzgänger halten Kontakt mit den Sphärenbewohnern, bei allen anderen ist es verpönt.«
    Ich klopfe mein Gedächtnis nach dem Begriff Grenzgänger ab. Ohne Resultat.
    Fleming studiert mit gerunzelter Stirn Dantorians Salvator, der leise summt. Das Display flackert blau, erlischt, flackert wieder.
    Ich muss weder Tycho noch Fleming fragen, woran das liegt – es ist völlig klar. Unsere Salvatoren geben allmählich den Geist auf, einer nach dem anderen. Sie sind nicht für die Bedingungen der Außenwelt geschaffen.
    Lennis beobachtet das Flackern ebenfalls, er kann sein Interesse nicht verbergen, stellt aber keine Fragen. Nicht nach unserer Flucht, nicht nach den Umständen, unter denen wir hier gelandet sind.
    »Ria! Ria aus der Sphäre!« Andris, der draußen nach mir ruft.
    Unmittelbar darauf scharrt der schwere Riegel über das Metall der Tür, sie schwingt quietschend nach innen und da steht der Wolfsgott, füllt die Öffnung fast zur Gänze aus.
    »Ria. Mitkommen.« Es ist keine freundliche Aufforderung.
    Hinter Andris sind weitere raue Stimmen zu vernehmen, er ist nicht allein gekommen. Selbst wenn wir uns alle zusammentun, werden wir sie nicht überwältigen können.
    Ich räuspere mich, bevor ich spreche. »Warum?«
    »Wart’s ab. Los jetzt!«
    Was mir am meisten Angst macht, ist die Vorstellung, dass sie mich von den anderen trennen wollen. Allein fühle ich mich dieser Horde nicht gewachsen.
    »Ich gehe an ihrer Stelle.« Aureljo ist aufgestanden und zur Tür gegangen, doch Andris stößt ihn so grob zurück, dass er den Boden unter den Füßen verliert und fast auf Fleming stürzt.
    »Ich sagte: Ria. Geh freiwillig oder ich lasse dich rausschleifen.«
    Meine Beine schmerzen noch von dem ungewohnt langen Marsch, den sie hinter sich haben, aber das ist nicht der Grund, aus dem sie unter mir nachzugeben drohen.

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