Die Verratenen
gern beschwichtigend einschreiten würde, aber Fleming geht einen Schritt auf den Mann zu, lächelnd.
»Danke, dass du geöffnet hast. Mein Freund hier wurde von einem Wolf gebissen und die Wunde sieht nicht gut aus. Ich brauche etwas, um sie zu desinfizieren, meine eigenen Mittel sind aufgebraucht. Alkohol wäre gut, ein paar saubere Tücher und abgekochtes Wasser.«
Der Mann macht den Eindruck, als wollte er Fleming ins Gesicht spucken und ihm vorschlagen, den Biss doch damit zu desinfizieren, doch stattdessen dreht er sich um und knallt die Tür hinter sich zu.
Wenig später kommt er zurück, eine trübe, kaum halb volle Flasche aus Plastik in der Hand. »Da. Das verwenden wir, wird auch für euch genügen.«
Fleming zieht sich seine Latexhandschuhe über, schraubt den Verschluss der Flasche ab und schnuppert am Inhalt. »Sicher. Danke.«
Der Prim zieht noch ein Bündel fleckige Lappen aus einem Beutel und wirft sie auf den Boden, dann kracht die Tür hinter ihm wieder zu.
»Besser, viel besser als nichts«, höre ich Fleming sagen und dann beginnt Dantorian zu schreien. Er versucht wegzurobben, aber Fleming hält ihn fest.
»Natürlich brennt es, aber das ist alles, was wir haben. Du willst doch wieder gehen können, oder? Halt still! Wann bist du das letzte Mal im Medcenter immunisiert worden?«
Dantorian schluchzt etwas, das Fleming zufrieden nicken lässt. »Gut. Dann haben es die meisten Erreger schwer bei dir, und den Rest erledigen wir hoffentlich jetzt.« Er schüttet noch einmal ein wenig Flüssigkeit über die Wunde, ohne auf Dantorians Geheul zu achten, und verbindet sie dann mit den restlichen Tüchern. »Angeblich geht es auch mit Salz«, sagt er mehr zu sich selbst. »Und auf jeden Fall mit Hitze.« Es klingt, als würde er Prüfungsstoff wiederholen.
Dantorian schläft wenig später ein, in seinem Gesicht trocknen Tränenspuren. Er ist der Einzige, der nicht zum Arbeitsdienst geholt wird. Uns andere jagen die Prims aus dem Kerker. Andris ist unter ihnen und betrachtet uns mit unverhohlener Freude.
»Jetzt werdet ihr zum ersten Mal in eurem Leben nützlich sein.«
Sie geben uns steife Lederhandschuhe und stinkende, grob zusammengenähte Überwürfe, die wir zusätzlich zu den Thermojacken anziehen, dann teilen sie uns Gruppen zu. Fleming und ich kommen zu den Suchern, keine Ahnung, was das bedeutet. Andris führt die Spitze unseres kleinen Zugs an. Was mit den anderen passiert, bekommen wir nicht mehr mit.
Vor mir laufen zwei Mädchen, die nicht viel jünger sind als ich. Sie kichern, ihre Hände stecken in dicken, ledernen Handschuhen. Der Anblick der beiden macht mir Hoffnung – die Arbeit wird nicht allzu schwer sein, wenn sie dafür eingeteilt wurden.
Leichter Wind kommt auf, er ist kühl, aber nicht eisig. Und dann öffnet sich über uns die Wolkendecke.
Ich bleibe stehen, weil ich nicht anders kann. Es ist, als hätte jemand einen trüben Schleier von der Welt gezogen. Das Weiß des Schnees glitzert; da, wo man Erde sieht, ist sie nicht einfach graubraun, sondern weist Hunderte Schattierungen auf, für die ich keine Namen kenne. Dazwischen immer wieder winzige Spuren von Grün. Aus dem Fensterrahmen einer Ruine ragen spitze Glasstücke und reflektieren einen Sonnenstrahl in mehreren Farben.
Auf meinem Gesicht liegt die Sonne wie eine große, warme Hand. Ich schließe die Augen und lasse mich streicheln, dann öffne ich sie wieder, um nichts zu verpassen. Es wird nicht lange dauern, es kann nicht lange dauern –
»Nicht direkt hineinsehen!«, herrscht Fleming mich an. »Das schadet deiner Netzhaut!«
Er hat natürlich recht; auch das haben wir irgendwann in Außenkunde gelernt. Aber niemand hat uns von diesem Gefühl erzählt, von dieser Wärme, die so anders ist.
Die wenigen Male, die ich Sonnenschein durch die Hermetoplastkuppeln der Sphären gesehen habe, sind mir noch heute präsent. Als Kinder sind wir zusammengelaufen und auf die hellen Punkte gehüpft – Sonnenspiegelungen auf dem Boden. Wir haben die plötzliche Helligkeit, die alle Leuchten in der Sphäre verblassen ließ, wie ein Wunder bestaunt.
Aber noch nie bin ich der Sonne von Angesicht zu Angesicht begegnet, habe sie gespürt, gerochen, mich von ihr durchdringen lassen.
Etwas Raues wischt über mein Gesicht, Flemings Hand in grobem Leder. »Du solltest nicht vor ihnen weinen«, murmelt er leise.
Er hat recht, die beiden Mädchen haben aufgehört zu kichern und betrachten mich mit einer Mischung aus
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