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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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sehr zurückhaltend damit um. Wozu Sehnsucht nach grünen Wiesen und blauem Himmel wecken, wenn sie für uns verloren sind?
    Doch heute habe ich die Sonne gesehen.
    Ich grabe weiter, schiebe Schutt beiseite, sehe etwas schimmern. Silbrig. Es sieht zerbrechlich aus und ich arbeite jetzt vorsichtiger, kann bald einen runden Umriss erkennen. Dann habe ich es freigelegt.
    Es ist etwa so groß wie meine Handfläche, dünn, zerkratzt und sehr schmutzig, nur an manchen Stellen leuchtet die ursprüngliche Oberfläche durch. Sie bricht das Licht in all seine Farben, so wie das zersprungene Glas, das ich auf dem Weg hierher gesehen habe. In der Mitte der Scheibe ist ein Loch, das zu regelmäßig ist, um zufällig entstanden zu sein.
    Ist das Schmuck? Hat man solche Scheiben früher an einem Band um den Hals getragen oder als Abzeichen auf der Kleidung?
    Als ich Fleming meinen Fund zeige, zuckt er mit den Schultern. »Gib es den Prims, vielleicht belohnen sie dich.«
    Das sollte ich tun, aber dann werden sie es mir wegnehmen und das möchte ich nicht. Noch nicht. Viel zu gerne würde ich selbst herausfinden, was es mit der Scheibe auf sich hat, wieso sie so verheißungsvoll schimmert.
    Die andere Seite ist matt, von dunklem Blau, und früher muss Text daraufgestanden haben.  …rit… ist alles, was man noch lesen kann, eventuell lässt sich auch ein großes M erahnen. Ein Geheimnis.
    Ich wende meinen Fund hin und her, befühle mit dem Zeigefinger vorsichtig die Rundung, hoffe, dass mir das Ding auf irgendeine Weise seinen Zweck offenbart.
    »Andris!« Eins der Mädchen ist aufgestanden. Es lässt mich nicht aus den Augen. »Andris, komm!«
    Der große, in Wolfsfell gehüllte Körper schiebt sich durch die Tür. »Was gibt es?«
    »Der Liebling stiehlt. Sie hat etwas gefunden und nicht abgegeben.« Als wollte sie sich so von mir abgrenzen, reicht das Mädchen Andris eine Plastikflasche, löchrig und eingedrückt.
    »Danke.« Andris nimmt die Flasche, dann baut er sich vor mir auf.
    Um uns herum wird die Arbeit eingestellt, ich ziehe alle Blicke auf mich.
    »Zeig.« Mehr sagt er nicht, streckt nur die Hand aus.
    Es fällt mir schwer, mich von meiner Beute zu trennen. Nicht, weil ich sie für wertvoll halte, sondern weil ich sie erforschen möchte. Einen zarten Faden in die Vergangenheit spinnen. Verstehen, womit ich es zu tun habe.
    Trotzdem lege ich die geheimnisvolle Scheibe in Andris’ Pranke. Er umfasst den Rand mit erstaunlicher Vorsicht, dann versetzt er mir einen halbherzigen Tritt. »Du hast die Regeln gehört. Niemand darf etwas behalten!«
    »Habe ich auch nicht!« Meine Empörung ist echt, ich ertrage keine weiteren grundlosen Anschuldigungen. »Ich habe es mir nur angesehen.«
    »Du bist zum Arbeiten hier!« Noch ein Tritt, fester diesmal. Mein Oberschenkel brennt an der getroffenen Stelle, ich würde sie gerne reiben, aber ich tue es nicht. Schwäche wird bei den Prims nicht mit Mitleid quittiert, jede Wette.
    »Was ist das?«, frage ich stattdessen.
    Andris gibt mir keine Antwort, er ist schon wieder halb aus der Tür. »Fiore? Ist Fiore in der Nähe?«
    Von draußen ruft jemand etwas, das ich nicht verstehen kann.
    »Es sieht ganz so aus, als würden wir hier drin jede Menge Material für Quirin finden. Einer soll Fiore holen!«
    Mein Italienisch ist zwei Stufen unter Muttersprachniveau, ich weiß, dass Fiore Blume heißt. Das Mädchen, das zehn Minuten später erscheint, hat mit einer Blume allerdings nicht mehr Ähnlichkeit als ein Eiszapfen mit einer Schneeflocke.
    Fiore trägt einen Bogen, der länger ist als die der meisten männlichen Prims, in einer Hand hält sie ein fleckiges, aber überaus scharf wirkendes Messer. Ihr Haar ist raspelkurz, trotzdem hat sie keine Mütze auf. Unempfindlich also oder dumm.
    Mit wissendem Nicken nimmt Fiore die Scheibe aus Andris’ Hand. »Wer hat das gefunden?«
    »Die beiden dort links. Lieblinge. Gestern gefangen.«
    »Tatsächlich?« Wer oder was wir sind, scheint Fiore überhaupt nicht zu interessieren. Sie kniet sich neben uns und begutachtet den Schutthaufen, den wir bearbeiten. »Wo habt ihr gegraben?«
    Ich zeige ihr die Stelle. Ich habe in der Zwischenzeit weitergearbeitet, bin aber auf nichts Bemerkenswertes mehr gestoßen.
    Um ihren linken Stiefel hat Fiore ein Werkzeug gebunden, das wie eine Mischung aus Harke und Schaufel aussieht und das sie nun abschnallt. Sie beginnt, das Geröll damit abzutragen. Sehr schnell und sehr gründlich.
    »Keiner hat gesagt,

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