Die Verratenen
etwas antun wegen der Sache mit den Stiefeln. Lass das nicht zu, hilf mir!«
In Aureljos Miene zeichnet sich Verzweiflung ab, wie immer, wenn er sich dem Unglück anderer hilflos gegenübersieht. »Sie tun dir nichts. Uns haben sie auch kein Haar gekrümmt. Du wirst sehen …«
Dann ist Tomma fort, von den Prims buchstäblich aus dem Kerker geschleppt. Wir hören ihr Weinen noch durch die geschlossene Tür, dann wird es leiser. Immer leiser. Verhallt.
»Sie wird vor lauter Angst Fehler machen.« Ich habe mich an Aureljo geschmiegt, mir ist beinahe warm. »Sie wird irgendetwas erzählen, von dem sie glaubt, dass der Clanführer es hören will, aber sie lügt so schlecht.«
Aureljos Brust hebt und senkt sich langsam im Takt seiner Atemzüge. Beruhigend. »Sie ist zu einseitig ausgebildet, das ist mir früher schon aufgefallen. Fantastisch in ihrem Fach, aber mit großen Lücken auf anderen Gebieten. Die Akademie muss mehr Wert auf Ausgewogenheit legen, ich werde das mit –« Er unterbricht sich, sagt nicht, mit wem er das Problem besprechen will.
In mir zieht sich etwas schmerzhaft zusammen und ich bin mir sicher, Aureljo geht es ebenso. Die Akademie ist nicht mehr unser Zuhause, dort will man uns töten. Hier wahrscheinlich auch, das werden wir bald wissen. Einmal mehr bäumt sich in mir die fassungslose Wut über so viel Ungerechtigkeit auf. Wenn man uns wenigstens angeklagt hätte, in einem ordentlichen Gerichtsverfahren. Wenn wir die Gelegenheit gehabt hätten, uns zu verteidigen! Dann wüssten wir, wie der Vorwurf lautet. Warum man uns verdächtigt. Aber so verläuft jede Grübelei ins Leere.
»Wir haben immer noch einander«, murmelt Aureljo und hält mich fester. »Und wir sind gut, vergiss das nicht. Für extreme Situationen ausgebildet. Wir überstehen das und dann finden wir die Wahrheit heraus.«
»Dazu müssten wir uns in eine Sphäre wagen.«
Aureljo senkt den Kopf und sieht mich an, voller Zärtlichkeit. »Ria. Das müssen wir so oder so. Wenn wir eine Überlebenschance haben wollen.«
Er hat recht. Ich weiß es und trotzdem sträubt sich alles in mir dagegen. Das Gespräch in der Bibliothek ist immer noch allgegenwärtig, ich könnte lange Passagen daraus wortwörtlich wiedergeben.
Die Betreffenden müssen getötet werden. Schnell und ohne großes Aufheben darum zu machen. Alles andere wäre zu riskant. Je weniger erfahren, wie gefährlich diese Sache für uns hätte werden können, desto besser.
Verschwörung, Verrat – an wen hätten wir den Bund verraten sollen? An die grunzenden, fellumhüllten Halbmenschen, die eben die Tür aufreißen und Tomma in die Zelle stoßen, so heftig, dass sie zu Boden stürzt?
Natürlich. An wen sonst? Innerhalb und außerhalb der Sphären, das sind die beiden sich gegenüberstehenden Lager.
Auf allen vieren kriecht Tomma in eine Ecke und rollt sich dort zusammen. Auf unsere Frage, was die Prims von ihr wollten, bekommen wir keine Antwort.
Dem Lehrbuch zufolge kann das bedeuten, dass sie Schlimmes erlebt hat und nicht darüber reden kann oder dass sie mit ihrem schlechten Gewissen kämpft. So wie ich Tomma in den letzten Tagen erlebt habe – unbeherrscht, angsterfüllt und impulsgetrieben –, tippe ich auf Letzteres. Wer weiß, was sie den Prims über uns erzählt hat, um sich Vorteile zu verschaffen.
Als ich Aureljo meinen Gedanken zuflüstere, schüttelt er den Kopf. »Nicht, Ria. Lass nicht zu, dass sie einen Keil zwischen uns treiben. Im Moment haben wir nur einander, wir müssen uns gegenseitig vertrauen.«
Er hat recht, sage ich mir den Rest des Tages immer wieder. Natürlich hat er recht.
Dann, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, vibriert mein Salvator, einmal lang, zweimal kurz.
Ich lese, was die Buchstaben auf dem Display formen, und mit einem Mal ist alles, was ich mir die letzten Stunden über versucht habe einzuschärfen, hinfällig.
Vertrauen könnte Selbstmord sein.
Erst nachdem man uns eine Art Abendessen gebracht hat, merkwürdige harte Fladen, die nach nichts schmecken, kehrt Tycho zurück. Ich kann nichts dagegen tun – ich sehe ihn plötzlich mit anderen Augen.
Das Erste, was ihn interessiert, ist, wie es Dantorian geht, er kniet sich neben ihn. Ein netter Zug. Trotzdem glüht alles in mir vor Misstrauen.
Wo war er so lange? Mit wem hatte er Kontakt? Er ist ein Aufgelesener, wissen das die Prims? Jeder von uns ist zu einem Verhör geholt worden, aber nur Tycho war den ganzen Tag fort.
»Ich habe etwas repariert«, erklärt
Weitere Kostenlose Bücher