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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Scheu und Spott. Dann flüstert die eine der anderen etwas ins Ohr, sie drehen sich um und laufen lachend weiter.
    Ich setze mich ebenfalls wieder in Bewegung.
    »Warst du schon einmal in der Sonne?«, frage ich Fleming leise. »Es ist so …«
    »Ja«, antwortet er. »Wunderschön. Schwer zu beschreiben.« Er lächelt. »Dein Salvator wird einen erfreulichen Anstieg von Vitamin D in deinem Körper verzeichnen.«
    Mit der Erwähnung des Salvators kehrt die bleischwere Frage nach dem Verräter zurück. Falls es ihn gibt.
    Ich erwarte fast, dass sich, passend zu meiner getrübten Stimmung, auch die Sonne zurückzieht, doch das tut sie nicht. Um sie herum hat sich ein wolkenloser Hof aus strahlendem Blau gebildet. Sie bleibt noch, eine Minute vielleicht oder zwei. Ich hoffe, dass Aureljo sie auch sehen kann.
     
    Wir gehen einen breiten, rutschigen Steinweg entlang, neben dem rechts und links Ruinen aufragen. Ich versuche mir vorzustellen, wie diese Stadt wohl einmal ausgesehen hat, vor der Langen Nacht. Ich habe Bilder von Städten gesehen – eins, von einer Stadt namens London, habe ich auf meinem Datenterminal gespeichert. Ein hoher Turm mit einer Uhr, ein großes Rad am Ufer eines Flusses. Brücken und vor allem Häuser, eckige Häuser in allen Größen, so weit das Auge reicht. Ob es hier früher ähnlich war?
    Wir bleiben stehen. Andris weist auf ein Gebäude, das einmal höher gewesen sein muss, man kann deutlich sehen, dass oben etwas fehlt.
    »Das ist heute dran. Was noch steht, wird nicht einstürzen, wir haben dran gerüttelt.« Er lacht und diesmal kommt es mir nicht bösartig vor, sondern als würde er sich ebenso über die Sonne und die wärmer werdende Luft freuen wie ich.
    Wir sind gut zwanzig Leute und Andris stellt diejenigen, die Waffen bei sich tragen, als Wachen auf. Wir anderen bekommen Stöcke und behelfsmäßige Schaufeln, zwei der kräftigeren Jungen werden mit Eisenstangen ausgerüstet.
    Bevor wir die Ruine betreten, legt Andris drei verschlissene Säcke auf den Boden. »Ordentlich sortieren. Und niemand steckt etwas ein, verstanden?«
    Die beiden Mädchen lachen ihn offen an, es ist klar, dass sie die Warnung nicht ernst nehmen. Fleming hingegen wirft mir einen unbehaglichen Blick zu. Ich nicke. Für uns ist das hier unbekanntes Terrain, auf keinen Fall dürfen wir uns in dem Glauben wiegen, dass wir in die Gruppe aufgenommen werden, nur weil wir aus dem Keller geholt wurden. Würden wir Andris mit der gleichen respektlosen Fröhlichkeit begegnen wie die Mädchen, würde er ganz anders reagieren.
    Wir sind Gefangene, die zum Arbeitsdienst verpflichtet wurden. Die Wachen, die jetzt in einigem Abstand um das Gebäude patrouillieren, sind vermutlich auch dafür da, um uns am Fliehen zu hindern.
    Innen ist die Ruine grau und auf den ersten Blick sieht es aus, als würden wir hier nichts außer Steinen und Schutt finden, davon allerdings unglaublich viel. Jetzt zeigt sich auch, dass nur der vordere Teil des Hauses stehen geblieben ist; der hintere ist eingedrückt, als hätte ein Riese sich daraufgesetzt.
    Die Prims verteilen sich, sie müssen diese Arbeit schon unzählige Male getan haben, jeder Handgriff sitzt. Die Jungen mit den Eisenstangen hebeln schwere Steinbrocken beiseite, die anderen beginnen zu suchen.
    Der Stock, den ich in der Hand halte, sieht nicht stabil genug aus, um ihn als Hebel zu verwenden. Aber vielleicht eignet er sich als Sonde. Gemeinsam mit Fleming wähle ich einen locker aussehenden Schutthaufen, an dem noch niemand arbeitet, und wir beginnen, unsere Stöcke hineinzustoßen.
    Es ist schwierig und es ist aussichtslos. Ich treffe ununterbrochen auf Hindernisse und alle erweisen sich als Steine. Währenddessen höre ich von den anderen Suchern ständig Jubelrufe: Jemand trägt in einem Tuch Glasscherben hinaus, ein anderer hat etwas entdeckt, das wie eine verbogene Metallschiene aussieht. Fleming und ich sehen uns an. Diese Art von Funden wüssten auch die Sphären zu schätzen; nichts ist so knapp wie Rohstoffe.
    Ich knie mich hin und beginne, mit den Händen zu graben. Asche und Staub wirbeln auf, ich huste, grabe weiter. Es ist nicht so sehr der Wunsch, den Prims behilflich zu sein, sondern meine eigene Neugier, die mich antreibt.
    Noch nie war ich in einem Haus, in dem sich noch unberührte Überreste aus der Zeit vor der Langen Nacht befinden. Ich weiß so wenig über die Menschen von damals. Natürlich gibt es Bilddokumente, Filme, Bücher. Aber der Sphärenbund geht

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