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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Realität als Schutzschild kreiert. War es ihm nach dem Tod seiner Frau nicht ebenso ergangen? Erst Yvonne hatte ihn nach Jahren der Trauer ins Leben zurückgeholt. Und er hatte Yvonne immer ein wenig abgewiesen, sie auf Distanz gehalten, weil er es als Verrat an seiner Liebe zu Nicole empfand. Ja, die Parallelen waren erschreckend. Und was half ihm diese Erkenntnis?
    Die Insel war kleiner, als er sich das vorgestellt hatte. Mächtige Bäume und urwaldähnliches Gestrüpp ließen den Eindruck entstehen, als gäbe es keinerlei menschliche Behausungen. Nur oben auf dem Hügel schimmerte ein Metalldach durch die Baumwipfel. Niemand erwartete sie an dem schlichten Anlegesteg. Seyoum griff nach seinem Rucksack und ging zum Bug, um das Tau am Steg festzuzurren. Jahzara machte keinerlei Anstalten, sich zu erheben. Demonstrativ schaute sie in eine andere Richtung. Aufmunternd versuchte Peter, sie zu necken: »Na, du traust dich wohl nicht in ein Kloster, hm? Hast wohl Angst, dass sie dich hierbehalten werden?«
    Jahzara starrte ihn völlig emotionslos an.
    Peter zuckte innerlich zusammen. Eben noch hatte sie sich wie ein Kind gefreut. Und nun dieser Blick, dieser kalte, starre, irgendwie traurige Blick!
    »Nur Männern ist der Zutritt auf diese Klosterinsel gestattet. Frauen sind hier unerwünscht. Auch, wenn sie noch nicht zur Frau geworden sind.«
    Jahzara blickte an ihm vorbei auf den Tanasee. Peter ahnte, dass sie Tränen unterdrückte. Kaum hörbar flüsterte sie gegen die auffrischende Mittagsbrise: »Weibliche Tiere sind übrigens auf dieser Klosterinsel auch verboten. Diese kleine Welt hier draußen ist männlich. Hier gibt es nur Gott und ein paar weise Mönche.«

13.
     
    D er Mönch ignorierte die Frage nach seinem Namen und signalisierte mit einem herzergreifenden Lächeln, dass er es als ausgesprochen müßig betrachtete, über solch banale Dinge wie sein Alter zu sprechen. Peter fiel es schwer, das Alter des Greises zu schätzen. Lebenslange Enthaltsamkeit hatte dem Mann das Aussehen einer Mumie angedeihen lassen. Seine Haut schien aus zerknülltem Pergament zu bestehen. Die Wangen waren eingefallen. Reste eines Oberlippenbartes und die spärlichen Relikte eines grau melierten Backenbartes ließen erahnen, dass der Alte früher dunkelhaarig gewesen war. Die Sonne Afrikas hatte ihm Gesichtsfalten so tief wie die Schlucht am Wasserfall des Blauen Nils in sein Antlitz gebrannt. Selbst ein Blick in die Augen des Mannes führte Peter nicht zu der Erkenntnis, ob der Mönch mit diesen leblosen Pupillen überhaupt noch in der Lage war, zu sehen. Das Augenweiß war mit roten und gelblichen Punkten durchsetzt. Die Pupillen hatten jeglichen Glanz verloren und starrten ins Endlose. Ein weißer Turban thronte auf seinem greisen Haupt und akzentuierte die ockerfarbene Filzdecke, die er um seinen Oberkörper geschlungen hatte. Ein Krückstock verlieh ihm Halt und Würde, geschnitzt aus einem Stück Holz, mit Verzierungen am Knauf zu einem Kunstwerk gereift.
    Seyoum kniete demütig vor dem Alten nieder, beugte sein Haupt, ergriff die Hand, die der Mönch ihm entgegenstreckte, führte sie zu seiner Stirn und murmelte einige Worte. Peter spürte den grenzenlosen Respekt, den Seyoum vor dem Mönch hatte. Er war ergriffen, schaute vom Gesicht des Methusalems auf dessen nackte Füße. Sie hatten so viele Falten wie die Beine eines 100-jährigen Elefanten. Die Fußnägel waren gelb-braun. Wenn der Gottesmann monoton und leise sprach, dann schien selbst der Wind zu verstummen, damit man den Mönch überhaupt hören konnte. Dieser Mann, der älteste der auf dieser winzigen Insel lebenden Mönche, war ein wandelndes Geschichtsbuch. Wenn er stirbt, dachte Peter, hätte das für dieses Kloster ebenso dramatische Auswirkungen wie ein Großbrand, der die komplette Bibliothek vernichtet.
    Wegen dieser Bibliothek waren sie hierhergekommen. Seyoum hatte in Erfahrung gebracht, dass in diesem Kloster Bücher lagerten, die Fragen über den Priesterkönig Johannes beantworten konnten. Fragen, die offensichtlich noch niemals gestellt worden waren. Entsprechend zurückhaltend hatte der Abt zunächst auf die einleitenden Begrüßungsworte von Seyoum reagiert. Erst der mit Birr-Scheinen gefüllte Umschlag, den Seyoum ihm mit dem Hinweis zusteckte, die Spende sei für den Erhalt des Klosters gedacht, entlockte ihm Wohlwollen.
    »Gott sei mit euch«, flüsterte er und fügte kryptisch hinzu: »Wer den säuselnden Wind als Gehilfen ruft, tut gut daran,

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