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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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sich in Acht zu nehmen, dass ihn der aufkommende Sturm nicht hinwegträgt.«
    Seyoum übersetzte für Peter die merkwürdigen Worte des Mönches, da der Greis kein Englisch sprach. Peter runzelte bei dem Gehörten die Stirn.
    Mittlerweile setzte der Mönch mühsam seine rheumatischen Füße in Bewegung und führte sie zum Herzen des Klosters – der kleinen Rundkirche.
    Peter war fasziniert. Schon am Landungssteg hatte er geahnt, dass er hier in eine andere, eine uralte Welt eintreten würde. Zwei Boote, geflochten aus Papyrus, lagen am Ufer. Er kannte solche Boote von Bildern des Titicacasees in Südamerika. Auf dem Tschadsee fuhren diese urzeitlichen Boote noch immer. Und er hatte sie auch auf Wandgemälden in Ägypten gesehen. Vor tausenden von Jahren waren diese aus Schilfrohrbündeln konstruierten Barken auf dem Nil gefahren. Am Tanasee galten sie nach wie vor als Transportmittel. Alles hier schien der Zeit entrückt zu sein. Der steinerne Pfad von der Anlegestelle zum Kloster auf dem Hügel war ihm wie eine abenteuerliche Dschungeldurchquerung vorgekommen. Gigantische, mit armdicken Lianen durchwirkte Bäume mit einem Umfang von mehreren Metern überthronten exotische Sträucher, üppig-prächtige Pflanzen und baufällige Bruchsteinmauern. Im Wald roch es modrig-süß. Die Luft schien zu stehen. Gestern Nacht noch hatte er im Bett ein wenig über diese Klosterinsel gelesen. Sie galt als eine der schönsten, weil das Kloster Anfang des 14. Jahrhunderts noch im strengen Stil frühchristlich-äthiopischer Rundkirchen erbaut wurde. Getragen wurde das Schilfdach von Säulen, je eine für einen der zwölf Apostel. Hierher hatten sich Christen bei der Invasion des arabischen Heerführers Ahmed Granj geflüchtet. Und hier waren zwei Söhne des Kaisers Iyasu bestattet worden, einer von ihnen bekannt als »der Verfluchte«. Von Seyoum hatte er erfahren, dass in diesem malerischen Kloster bibliophile Schätze gehütet wurden, deren Wert nicht in Zahlen bemessen werden konnte. Darunter ein Evangeliar aus dem 15. Jahrhundert.
    Peters Euphorie wurde allerdings ein wenig gedämpft, weil Jahzara nicht dabei sein durfte. Zu gerne hätte er in diesem Moment ihre glänzenden Augen gesehen.
    Aufgeregt folgte er dem Mönch, der auf ein am Hang gelegenes Bruchsteinhäuschen zuwankte. Ihr Weg führte durch den äußeren Wandelgang der von Säulen getragenen Kirche. Die Wand war mit einem fast vier Meter hohen Gemälde geschmückt. Peter verharrte. Seine Gedanken überschlugen sich. Was er sah, ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Die menschliche Gestalt, die da in verblichenem Rot, Ocker und Gelb vor Jahrhunderten auf die Lehmwand aufgemalt worden war, schien ihm vertraut. Ja, er kannte dieses in Weisheit und Erhabenheit erstrahlende Antlitz! So ähnlich war der Priesterkönig Johannes auf alten Landkarten und Gemälden dargestellt worden. Bis heute hatte er geglaubt, all diese Abbildungen des Priesterkönigs seien Fantasiegemälde gewesen, entstanden in den Köpfen einfallsreicher abendländischer Maler. Und nun dieses Wandgemälde, tausende von Kilometern von Europa entfernt! Ohne Zweifel: der weiße Vollbart, diese gütigen Augen, das bis zum Boden reichende Gewand eines Königs und Priesters, das deutliche Ähnlichkeit mit den prachtvollen Ornaten orthodoxer Geistlicher hatte. War das ein Abbild des mystischen Priesterkönigs? Hatte er vielleicht sogar hier auf der Insel…?
    Der Mönch war zwischenzeitlich weitergegangen. Peter konnte sich nur schwer dem Bann des Wandgemäldes entziehen. Er fragte sich, ob er der Wahrheit über den legendären Herrscher näher war, als er es jemals erwartet hatte. Vielleicht lag in diesem Kloster die Antwort auf eines der großen Mysterien vieler Jahrhunderte. Plötzlich blieb sein Blick an einem Detail des Gewandes hängen. Die Zeit hatte die Naturfarben des Gemäldes zwar verblassen lassen, doch dieses Zeichen war nicht zu übersehen. Es war ein rotes Kreuz in Brusthöhe. Ein Kreuz mit einer höchst ungewöhnlichen Form. Es hatte frappierende Ähnlichkeit mit dem Kreuz, das die Templer einst auf ihren Gewändern trugen. Und es sah dem roten Kreuz, das die Segel portugiesischer Schiffe schmückte, verblüffend ähnlich: dem Tatzenkreuz!
    Die Schatzkammer des Klosters war durch schwere Eisenschlösser und daumendicke Ketten gesichert. Seyoum signalisierte Peter durch ein Handzeichen, dass er die Schuhe vor dem Heiligtum ausziehen musste. Der Mönch schlurfte in den winzigen Raum.

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