Die verschollene Karawane
Vorderreifen platzte kurz vor der Stelle, die sie als Lagerplatz auserkoren hatten. Für einen Reifenwechsel lag sie äußerst ungünstig. In der tiefen Mulde zwischen zwei gigantischen Dünen war es selbst am frühen Nachmittag noch irrsinnig heiß. Kein Lüftchen ging. Der Untergrund war extrem weich. Der Sand schien unter den Reifen zu fließen. Selbst mit den beiden Sandblechen und dem zweiten Reserverad als zusätzlichen Halt für den Wagenheber bedurfte es mehrerer Versuche, den Wagen aufzubocken. Mit solchen Sandverhältnisse hatte Peter noch nie zu tun gehabt. Er fühlte sich in der Mulde sehr unwohl. Einen Wetterwechsel würden sie hier erst im letzten Augenblick mitbekommen. Außerdem waren die Temperaturen in dem Kessel kaum auszuhalten. Er entschied daher nach zweistündiger schweißtreibender Schufterei, die auserkorene Düne, in deren Abendschatten es kühler sein würde, noch anzusteuern.
Selbst mit Differenzialsperre und Untersetzung arbeitete sich der Geländewagen nur sehr mühselig und langsam durch den Sand. Peter spürte, dass ihn ihre Situation zunehmend zermürbte. Nur die Tatsache, dass sie gegen Mittag seit langer Zeit wieder einmal ganz kurz GPS-Daten empfangen und er zu seiner großen Überraschung festgestellt hatte, dass sie nicht sehr weit von der geplanten Route abgekommen waren, trieb ihn voran, die verlorene Karawane weiterhin zu suchen. Jahzara hatte bereits vor Stunden genau das gesagt, was er nicht hatte aussprechen wollen: »Wenn wir die Karawane nicht finden, werden sie Yvonne umbringen. Finden wir sie, bringen sie Yvonne auch um. Selbst wenn wir hier dann lebend rauskommen, werde ich nicht mehr leben wollen. Und auch nicht können! Du?«
Seit dieser knappen, aber präzisen Darlegung der Fakten saß sie nur noch stumpfsinnig neben ihm, ihr starrer Blick war stets nach vorne gerichtet. Ihr gebrochener Lebenswille brachte ihn an den Rand der Verzweiflung. Die strapaziösen klimatischen Bedingungen trugen ihr Übriges dazu bei, dass seine Hoffnungen schwanden. Das Gebiet, in dem sie sich inzwischen befanden, war eine der unwirtlichsten Landschaften, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Der Salzsee reflektierte die Mittagshitze wie ein Backblech in alle Himmelsrichtungen. Die Luft war am Siedepunkt angelangt. Sogar um den Araber auf der Rückbank machte er sich Sorgen. Sahib al Saif hyperventilierte und hielt sich immer wieder den Bauch. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen. Es galt, Entscheidungen zu treffen.
»Ich muss mal!«, rissen ihn die Worte des Killers aus seiner Nachdenklichkeit.
»Kannst du nicht warten, bis wir da drüben an der großen Düne sind? Da ist der Sand etwas feuchter und trägt besser. Wenn ich hier anhalte, kann es sein, dass wir ohne Schieben nicht mehr weiterkommen!«
»Anhalten!«
Der Araber öffnete noch während der Fahrt die Tür. Peter stoppte. Er wunderte sich für einen kurzen Moment, dass der Wagen so abrupt stehen blieb und schlingerte. Das tonnenschwere Gefährt verhielt sich so, als habe es festen Untergrund. Der Killer sprang aus dem Wagen und stolperte durch den tiefen Sand vom Fahrzeug weg. Peter schaute in eine andere Richtung. Er sah nur grellen Sand und Dünen, die sich in der Hitze zu bewegen schienen.
Er wusste nicht, was für ein seltsames Geräusch es war, das ihn plötzlich aufhorchen ließ. Jahzara schien auch etwas gehört zu haben. Sie schaute ihn fragend an. Dann kam der gellende Schrei. Peter fuhr herum. Dort, wo er den Killer vermutet hatte, war niemand. Da war nur Sand. Noch ein Schrei. Unartikuliert, in Todesangst und irgendwie gedämpft. Jahzara riss auf einmal ihre Hände hoch und presste sie vor ihre Augen. Und nun sah er es auch: Der Araber steckte bis zur Hüfte im Sand. Fünf Meter vom Wagen entfernt. Seine Augen waren panisch aufgerissen. Er ruderte mit seinen Händen, in dem ungeschickten Versuch, sich zu befreien.
»Neiiin!«, brüllte Peter durch das Fenster hindurch.
Jahzara zuckte zusammen.
»Nicht bewegen, ruhig bleiben! Das ist Treibsand!«
Peter stieg rasch aus dem Wagen. Tatsächlich, er fühlte etwas Festes unter seinen Füßen. Seine Augen suchten den Fond ab: Abschleppseil, Gurte, Sandbleche – wo waren sie? Er tastete sich am Wagen entlang nach hinten, riss die Hecktür auf. Er entdeckte das Abschleppseil, zerrte es hervor. Hastig befestigte er das Seil an einer Reisetasche, um eine Art Rettungsring zu fabrizieren. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Killer viel zu schnell im Sand
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