Die verschollene Karawane
versank. Er schien schreien zu wollen, aber aus seinem trockenen Mund drangen nur noch gurgelnde Laute. Seine Augen waren starr gen Himmel gerichtet.
Peter warf die Tasche in seine Richtung, verfehlte ihn, zog sie heran, warf noch einmal. Der Araber bekam sie zu fassen. Seine weißen Handknöchel hoben sich gegen das Schwarz der Tasche ab. Die Adern seiner Schläfen quollen unter der Kraftanstrengung hervor. Er schaffte es nicht. Der Sog war zu stark. Er versank Millimeter um Millimeter. Der Tod schien es nicht eilig zu haben, aber er war beharrlich. Peter schlang das Ende des Seils um die Anhängerkupplung. Das Seil straffte sich, vibrierte. Der Araber ragte nur noch von der Brust aufwärts aus dem Sand. Hoffnung lag in seinem Blick. Seine Augen flehten um Gnade.
»Das Seil unter den Armen hindurchschlingen! Ich lockere es.« Peter schrie es dem Araber zu, weil er merkte, dass plötzlich Wind aufkam. Nur mühsam gelang es ihm, den Knoten an der Anhängerkupplung zu lösen, um dem Seil Spielraum zu geben. Er mochte nicht zu dem Araber hinschauen. Er hörte jedoch an dessen jammervollen, grauenhaften Tönen, wie er weiter versank und gleichzeitig versuchte, das Seil um seinen Brustkorb zu schlingen. Dann straffte sich das Seil. Peter traute sich nicht nach hinten zu schauen. War der Kopf des Mannes unter dem Sand? Oder noch darüber?
Egal! Er sprang um den Wagen herum ans Lenkrad. Etwas war seltsam. Er sah nur einen Teil des Horizonts. Nervös blickte er sich um. Der Wagen hatte Schräglage. Die linke Seite stand auf festem Boden. Aber die rechte Wagenseite neigte sich. Treibsand? Er erstarrte. Sein Blick hetzte zu dem Araber. Er sah den Kopf. Der Killer lebte. Es war ihm gelungen, das Seil um seinen Oberkörper zu schlingen und es vor der Brust zu verknoten. Er lebte. Das Seil war straff. Aber was nun? Wenn er den Wagen starten würde, um den Mann herauszuziehen, würde sich das Fahrzeug vielleicht rechts in den weichen Sand eingraben, würde aus der Balance geraten – umkippen. Sollte er das riskieren? Tod im Land der Leere bei dem Versuch, einem Killer das Leben zu retten? Allerdings war nur der Araber in der Lage, mit den Entführern zu telefonieren und damit Yvonnes Leben zu retten.
Sand knirschte unter ihrem Auto. Erst kaum hörbar, dann etwas lauter. Die Karosserie knarrte. Der Wagen schien zu schwanken. Peters Puls raste. Versanken sie mitsamt dem Auto? Plötzlich wurde es still. Der Wagen verharrte in leichter Schräglage. Der Araber lag fast bewusstlos mit ausgebreiteten Armen im Sand. Das Seil hielt. Er lebte.
Doch Peter konnte sich nicht freuen. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg aus dieser Krise. Feine Sandpartikel prasselten auf die Karosserie nieder. Durch die gen Himmel gerichtete Windschutzscheibe sah Peter, dass Wind aufkam. Und er kam nicht allein. Er trug Böses im Bauch und spuckte Sand aus. Nicht viel. Noch nicht.
Ein leiser Piepton riss ihn aus seinen wirren Überlegungen. Er wandte sich zu Jahzara um. Sie starrten sich ungläubig an. Es piepste abermals. Dann ein Summton, den er kannte, liebte: das GPS-Gerät! Hastig schaute er auf die Rückbank. Tatsächlich, dort lagen sein Handy und das GPS-Gerät, beide Displays leuchteten auf. Sie hatten Empfang. Peter griff nach beiden Geräte, fühlte das Plastik, spürte die Vibration des Handys in seiner Hand. Jahzaras Augen flehten ihn an, etwas zu sagen, zu tun. Peter starrte auf das Handy. Die ungelesene SMS von Yvonne wurde noch immer angezeigt. Der Akku war fast leer, die Feldstärke minimal. Peter öffnete die SMS. Das Display flackerte für einen atemberaubenden Moment, dann erschien die Nachricht doch, wenn auch kaum mehr lesbar. Jahzara zitterte am ganzen Körper und stierte aus dem Fenster. Sie traute sich nicht, auf das Display zu schauen. Peter las die zwei Zeilen. Sie verschwammen vor seinen Augen, lösten sich in seinen Tränen auf. Zutiefst aufgewühlt flüsterte er schließlich: »Y…vonne, Yvonne ist frei!«
Der grenzenlosen Euphorie, den Freudentränen, die sie während des Sonnenuntergangs vergossen hatten, folgten in der Morgendämmerung grausame Tatsachen. Trotz größter Anstrengungen war es ihnen nicht gelungen, den Araber vor Einbruch der Dunkelheit aus der tödlichen Sandfalle zu befreien. Nur durch Muskelkraft war es nicht möglich gewesen, den noch immer leblosen Körper des Mannes aus dem Treibsand zu ziehen. Nur mit dem Wagen hätten sie es geschafft. Doch der saß fest. Er hatte sich zwar nicht weiter
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