Die verschollene Karawane
Gitarre spielt, erstickt an seinen eigenen Gedanken. Unser gemeinsamer Freund Charles, so glaube ich zu wissen, versteht sich zwar ein wenig als Kreuzritter der Gerechtigkeit. Das Libretto, um das es geht, ist aber ein anderes. Ich kenne nur den französischen Titel, L’Africaine. Es geht wohl um einen portugiesischen Seefahrer und dessen Liebe zu einer dunkelhäutigen Schönheit, die in Wirklichkeit eine Prinzessin ist. Das Ganze endet sehr grausam: Alle portugiesischen Seefahrer werden umgebracht. Aber das wird Ihnen unser Freund sicherlich alles selbst erzählen können. Er bat mich, Ihnen das Libretto zu dieser Oper zu geben und Ihnen zu sagen, wo sie ihn erreichen können. Ist schon ein sehr eigenwilliger alter Mann geworden, unser Freund! Nie weiß man, was ihn so umtreibt. Gestern kam eine Frau zu mir, der ich auch etwas von Charles geben sollte. Ich glaube, es war ein altes Buch. Sie war Ausländerin. Ihr Englisch klang sehr seltsam. Doch sie roch unglaublich aufregend, so ganz anders als europäische Frauen! Na ja, er war schon immer ein eher weltlicher, den irdischen Dingen zugewandter Mann gewesen, unser lieber Charles. Sie finden ihn übrigens im Kloster San Francesco del Deserto. Es ist eine etwas längere Fahrt hinaus in die Lagune von Venedig.«
Yvonne lag im Hotelzimmer auf dem Bett und weinte bitterlich. Sie schaute nicht auf, als er das Zimmer betrat.
Peter hatte sich fest vorgenommen, ihr die Überreaktion nicht zu verzeihen, spielte sogar mit dem Gedanken, sich von ihr zu trennen. Er versuchte, selbstbewusst und unnachgiebig zu wirken. Aber ihr Schluchzen war so ehrlich und so herzergreifend, dass sie ihm leidtat. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie viel sie für ihn empfand. Wortlos schloss er die Hotelzimmertür hinter sich.
Yvonne flüsterte ihm entgegen: »Es tut mir leid, Peter. Bitte glaub mir. Ich bin eine blöde Kuh. Ich habe mir geschworen, dass mir das nicht mehr passiert. Doch diese Frau hatte wirklich einen so perfekten Körper, dass ich bei deinen Worten ausgerastet bin. Außerdem war sie tatsächlich so schön wie ein Prinzessin.«
»Vergiss es, Yvi. Vergiss es! Wir haben das Thema ja schon öfter gehabt. Streichen wir das Ganze, okay?«
Versöhnlich gestimmt ging er zum Bett, beugte sich über sie, gab ihr einen eher brüderlichen Kuss auf die Stirn und tupfte ihr mit dem Zipfel des Kopfkissens die Tränen ab. »Komm, lass uns was trinken gehen. Es gibt viel Spannendes zu berichten.«
Wenige Minuten später saßen sie vor dem Café an dem kleinen Kanal. Peter starrte gebannt auf einen Stapel vergilbter Notenblätter, die er von dem Blinden erhalten hatte. In dem Libretto lag ein Blatt Papier mit der krakeligen Handschrift von Charles: »Lieber Peter, nichts ist so, wie es sich darstellt. Der Narr von Komponist hat geglaubt, was schon die Päpste, was Kolumbus und auch Vasco da Gama als Held dieser Oper glaubten. Du, mein Freund, weißt, dass es ein Irrglaube ist, einer, der sie alle in die Fremde, ins Reich der Illusionen und Fantasien geführt hat. Du, verehrter Geograf, weißt, wo die weltlichen Wahrheiten liegen. Und ich weiß, dass die göttliche Wahrheit selbst beim Stellvertreter Gottes auf Erden nicht immer gut aufgehoben war und ist. Nun denn, ich denke, die Zeit ist gekommen, Lügen zu entlarven. Machst du mit?«
Peter glaubte zu ahnen, worum es bei all den kryptischen Formulierungen seines Freundes ging.
Yvonne schaute ihn erwartungsvoll an. »Erzähl schon! Du bist ja ganz aus dem Häuschen. Was ist das? Sieht aus wie Notenblätter!«
»Es sind Notenblätter, Yvi, Noten samt Libretto. Und zwar von einer Oper mit dem Titel L’Africaine. Es geht um die Suche der Portugiesen nach einem Seeweg nach Indien und um eine Liebesgeschichte zwischen Vasco Da Gama und einer indischen Prinzessin.«
Yvonne griff nach den Notenblättern, als ihr die Karte, die obenauf lag, in die Hände fiel. Mit dem fachkundigen Blick einer Buchrestauratorin studierte sie diese.
»Das ergibt keinen Sinn, was ich da sehe«, murmelte sie. »Mit den geografischen Begriffen kann ich absolut nichts anfangen. Scheint mir eine ziemlich wirre Kombination von Latein, Portugiesisch und sabäischen Schriftzeichen zu sein –«
Peter unterbrach sie. »Sabäisch? Woher, zum Teufel, weißt du, wie sabäische Schriftzeichen aussehen?«
»Ganz einfach, mein lieber Afrikadurchquerer! Ich musste mal ein Buch restaurieren, in dem es um hebräische Schriftzeichen ging. Hebräisch hat sich aus
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