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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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hatte Jahre gebraucht, um den Tod seiner Frau und des ungeborenen Kindes halbwegs zu verkraften. Überlebt hatte er lediglich dank therapeutischer Hilfe. Dennoch war er nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Er trieb durchs Leben, weil um ihn herum gelebt und gearbeitet wurde. Willenlos, abgestumpft nahm er daran teil, obwohl er nicht wusste, wofür er lebte. Es erschien ihm undenkbar, dass das Vakuum in seiner Seele, in seinem Herzen, das durch den Tod Nicoles entstanden war, jemals wieder aufgefüllt werden könnte.
    Bis er an jenem Junitag vor vier Jahren Yvonne getroffen hatte. Anfänglich dachte er, dass seine Begeisterung für sie, der schnelle Pulsschlag beim ersten Blick auf ihren reizvollen Körper, auf ihr langes blondes Haar und ihre glitzernden blauen Augen nur ein Aufbegehren seines Überlebenstriebes war. Dann aber spürte er, wie in ihrer Gegenwart starkes Verlangen und wohlige Gefühle aufwallten und sich wie ein gutartiges Geschwür in ihm ausbreiteten. Yvonne war nicht nur attraktiv. Er schätzte ihren scharfen, analytischen Verstand. Und ihr Lachen, das so viel positive Lebensenergie verströmte und auf ihn so ansteckend wirkte. Sie tat ihm gut, so wie auch sie zugab, dass er ihr Leben bereicherte. Sie passten zusammen, irgendwie. Yvonne war eine gute Freundin. Eine, die auch gerne mit ihm schlief. Sex bedeutete ihr so viel, dass er manchmal glaubte, sie verwechsle körperliches Verlangen mit Liebe. Das vertraute Gefühl, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, die anregenden Diskussionen und Gespräche, die vielen spontanen Reisen und übereinstimmenden Interessen schienen für sie ein solides Fundament für ein gemeinsames Leben zu sein.
    Und auch er hatte das am Anfang für möglich gehalten, obwohl er es zunächst gleichsam als Verrat an Nicole empfunden hatte. Er hatte sich ein wenig geschämt, als er mit Yvonne ins Bett ging – die erste erotische Begegnung mit einer Frau seit Jahren – und mit Elan und Gedanken an ein Morgen und Übermorgen an Yvonnes Seite wieder aufgewacht war. Es hatte ihn schockiert und ihn dazu veranlasst, Yvonne unter fadenscheinigen Gründen am Morgen nach der gemeinsamen Nacht schnell zu verlassen. Aber der lautlose Kampf der Gefühle und des Verlangens hatte nur wenige Wochen gewährt. Seit zu langer Zeit war er einsam und verzweifelt gewesen. Er hatte sich nach Nähe, Austausch und Geborgenheit gesehnt. Und Yvonne hatte das gespürt. Sie trat in sein Leben. Unaufhaltsam. Auch wenn seine Gefühle anders waren als jene, die er weiterhin für Nicole hegte, erkannte er doch, dass er ins Leben zurückgekehrt war. Dank Yvonne. Sie gab ihm Lebensmut, Perspektiven – wenn sie nicht gerade eifersüchtig war. So wie heute Morgen.
    Nachdem sie am Abend in Venedig gelandet waren und im Hotel eingecheckt hatten, waren sie noch in dem gemütlichen Restaurant á Leon am Canale Tolentini gewesen. Dort hatte er ihr in groben Zügen von Charles und von dem Überfall in Hurghada erzählt. Er war froh gewesen, dass Yvonne Zeit gehabt hatte, mit ihm nach Venedig zu fliegen. Sie kannte die Stadt von diversen Restaurationsaufträgen, beherrschte dank ihrer italienischen Mutter die Sprache fließend und hatte hier gute Kontakte. Außerdem hatte er sich auf den Austausch mit einem Menschen gefreut, dem er trauen konnte, denn die Geschehnisse der letzten Tage hatten ihn sehr aufgewühlt. Der laue Abend und ihre Gespräche hatten ihn entspannt. So lustvoll-zärtlich sie schließlich miteinander geschlafen hatten, so dramatisch hatten sich die Dinge nach dem Frühstück entwickelt.
    Der Anlass war nichtig gewesen, Yvonnes Reaktion heftig.
    Während er bei der Bootsfahrt durch die Kanäle der Stadt einige Aufnahmen gemacht hatte, war ihm eine ungewöhnlich attraktive junge Frau mit dunkler Hautfarbe aufgefallen. Nur wenige Schritte von ihnen entfernt hatte sie die prachtvollen Paläste entlang des Canal Grande bewundert. Auf seinen Reisen durch Nordostafrika hatte er schon öfter solche Frauen gesehen: grazile Schönheiten mit feinen, nilohamitischen Gesichtzügen, die auf eine sehr eigene Art eine gewisse Unnahbarkeit ausstrahlten. Durch das Objektiv seiner Kamera hindurch hatte er sie sehr genau beobachten können. Im sanften Morgenlicht hatte ihre bräunlich schwarze Haut wie Bronze geschimmert. Die langen Wimpern hatten ihre großen, sehr dunklen Augen betont. Gebannt hatte er ihre sehr markanten, hervorstehenden Wangenknochen und ihr auffallend langes schwarzes Haar mit den

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