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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Aramäisch entwickelt wie auch Sabäisch. Sabäisch wurde im südlichen Arabien verwendet. Es ist ein sehr kompliziertes Konsonantenalphabet, dessen Grundelemente du noch heute im Arabischen und vereinzelt auch in Indien findest. Und in Äthiopien, glaube ich, auch.«
    Peter riss die Augen auf. »Sag das noch mal!«
    »Was?«
    »In Indien – und in Äthiopien?«
    Yvonne schaute ihren Freund verwundert an. »Mit Verlaub, aber du schaust gerade ziemlich bescheuert drein! So einen Blick habe ich ja noch nie bei dir gesehen! Was hast du denn auf einmal?«
    Er grinste. »Ich hab’s! Ich habe des Rätsels Lösung! Äthiopien und Indien! Das hat er gemeint. Mein Gott, bin ich blöd! Dass ich das erst jetzt erkenne.«
    Hektisch nahm er Yvonne die Karte aus der Hand, drehte sie seitenverkehrt und betrachtete das Ganze von der Rückseite gegen den Himmel.
    »Wahn… sinn…«, stotterte er und schluckte mehrmals. »Ich raste aus, meine Liebe! Das ist es. Ich Idiot!«
    »Soll ich dir da etwa beipflichten«, lächelte Yvonne und freute sich über die vor Begeisterung sprühenden Augen ihres Freundes. »Komm, erzähl! Was, glaubst du, entdeckt zu haben?«
    »Ganz einfach, Yvi, im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Kartografie mehrfach gewandelt. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Konzeption. Eine ganze Zeit lang wurden die Karten nach Osten ausgerichtet, wurden Jerusalem und Konstantinopel quasi ins Zentrum des abendländischen Weltbildes gerückt. Das resultierte maßgeblich aus den geografischen Angaben in der Bibel, die das irdische Paradies im Osten der Welt, also östlich vom Heiligen Land, gelegen sahen. Es gab auch eine Zeit, in der Karten nach Norden oder nach Süden ausgerichtet wurden. Dann stand die Welt, so gesehen, plötzlich auf dem Kopf. Das hat bei Entdeckern und Seefahrern immer wieder für Irritationen und Missverständnissen gesorgt. Wobei sich das schnell erklären lässt: Wenn du dich in Europa, also nördlich des Äquators aufhältst, dann reisen die Seefahrer auf der südlichen Halbkugel logischerweise – von hier aus betrachtet – nach rechts, also nach Westen, um nach Südamerika zu kommen. Umgekehrt reisen wir aus dem Betrachtungswinkel der Menschen südlich des Äquators nach links, um nach Südamerika zu kommen. Wenn also damals jemand etwas aufzeichnete und nicht deutlich machte, wo sein Standpunkt war, ergab das ein großes Durcheinander. Der eine schipperte ostwärts, der andere westwärts. Hört sich ziemlich banal an für uns, da wir ein so perfekt vermessenes Weltbild haben. Aber vor 500 Jahren war das noch anders. Wenn du dir unter diesen Aspekten jetzt mal diese Skizze genau anschaust, sie auf den Kopf stellst und dann auch noch von hinten betrachtest, findest du plötzlich Elemente, die ganz deutlich zeigen, um welche Kontinente es sich tatsächlich handelt: Afrika und Indien. Und ich glaube, hier löst sich das Rätsel um diese kryptischen Zeilen von Charles.«
    Gespannt hatte Yvonne den Worten ihres Freundes gelauscht. Forschend blickte sie ihn an. »Du hast doch diesen Blinden vor der Kirche San Rocco getroffen, oder?«
    »Ja, richtig. Er spielt dort schon seit Jahren Gitarre. Charles hat ihn mir mal vorgestellt. Warum fragst du?«
    »Weil ich diese Kirche sehr gut kenne. Genauer gesagt, ich kenne das Gebäude gegenüber sehr gut, die Scuola Grande di San Rocco. Darin befindet sich für mich eines der schönsten Kunstwerke Europas. Wenn du da reingehst, stockt dir der Atem! Musst mal hoch in den Versammlungsraum in der ersten Etage gehen. Derart perfekte und makellose Proportionen habe ich noch nirgendwo auf der Welt gesehen. Jacopo Robusti, bekannt als Tintoretto, der dieser Erzbruderschaft angehörte, hat achtzehn Jahre lang die Wände und Decken mit Gemälden geschmückt. Eins wunderbarer als das andere – «
    Peter unterbrach sie ungeduldig. »Was willst du mir eigentlich über diese Scuola sagen?«
    Yvonne lächelte selbstbewusst. Sie mochte das Gefühl, Dinge zu wissen, von denen Peter keine Ahnung hatte. »Diese Schulen sind untrennbar verbunden mit dem Aufstieg Venedigs zu einem der mächtigsten Stadtstaaten des Mittelalters. Diese Laienbruderschaften, von denen es in dieser Stadt damals ungefähr vierhundert gab, befanden sich immer unter dem Patronat eines Heiligen. In diesem Falle des heiligen Rochus aus dem französischen Montpellier. Ziel der Erzbruderschaften war es, die Interessen einzelner Gewerbe oder Künste optimal zu vertreten. Die von San Rocco gehörte zu

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