Die verschollene Karawane
Münzsammlung?
Federico setzte sich vorsichtig auf und zog mit der linken Hand die Türklinke herunter. Die Flinte hielt er mit der rechten Hand umklammert, der Zeigefinger lag am Abzug. Als der Türspalt groß genug war, schob er den Lauf der Flinte hindurch. Er spähte hinaus. Da schien niemand zu sein. War der Einbrecher schon weg? Er vergrößerte den Türspalt, um das Treppenhaus überblicken zu können. Es war stockfinster. Aber was war das da vorne, in der Ecke auf den Stufen unter dem kleinen Fenster – das Schwarze? Er beugte sich ein wenig weiter nach vorne. Die schwere Flinte deutete in Richtung Treppe. Er spürte, wie sein Arm zitterte. Plötzlich bewegte sich das Schwarze auf der Treppe. Es war ein Schuh. Dann noch einer. Gegen das spärliche Licht des Fensters hob sich eine Gestalt ab. Ein Mann. Ein Hüne! Federico erstarrte. Es war ein Monster von Mensch! So hünenhaft die Gestalt war, so schnell bewegte sich der Mörder plötzlich. Federico ahnte, dass er keine Zeit mehr für einen Warnschuss hatte. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, zog er den Lauf der Flinte ruckartig hoch.
»Halt, Stopp!«
Dann ging der Schuss los. Im Widerschein des Mündungsfeuers sah er den Vollbart des Mannes. Und er sah Augen, wie sie nur Mörder haben. Die schwarze Gestalt wurde an die Wand geschleudert, fiel jedoch nicht zu Boden. Die Wucht des Schusses riss Federico die Flinte aus der Hand. Die Waffe schepperte zu Boden. Jäh stürzte sich der Hüne auf ihn. Dann wankte er auf einmal, stöhnte, taumelte – und fiel rückwärts die Treppe herunter. An den dumpfen Aufschlägen konnte Federico erahnen, wie riesig dieser Mann sein musste. Sehen konnte Federico nichts. Doch er wusste, dass er getroffen hatte. Plötzlich quietschten die Scharniere der Eingangstür. Ein Lichtschein von der Straßenlaterne fiel ins Treppenhaus. Dann war der Hüne weg. Ob er oben bei der Äthiopierin gewesen war? War sie eigentlich wieder da? Egal! Ihn hatte dieses Monster nicht erwischt! Auch Krüppel können mit Schrotflinten umgehen. Dann schrie er um Hilfe.
Es war ein nettes Hotel, und von ihrem Zimmer aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Altstadt. Aber Peter konnte weder den Ausblick noch das Ambiente genießen. Die Stimmung zwischen ihm und Yvonne war eisig. Längst bereute er seine Entscheidung, sie gebeten zu haben, mit nach Lissabon zu fliegen, um ihm bei seiner Recherche zu helfen. Er hatte keine andere Wahl gehabt, denn sie sprach neben Italienisch auch Spanisch und Portugiesisch. Da er zudem davon ausging, dass einige der Unterlagen in den Bibliotheken gute Lateinkenntnisse erforderten, hatte er sich leichtfertig über seine anfänglichen Bedenken hinweggesetzt. Das war ein Fehler gewesen. Yvonne hatte seine Bitte missverstanden, was sie ihm soeben unmissverständlich mitgeteilt hatte.
Er versuchte, die Stimmung zu retten: »Also gut, Yvi, ich habe weder das Geld noch die Zeit, um länger als vier bis fünf Tage hierzubleiben. Ich bin froh, dass mir mein Chef so kurzfristig Urlaub gegeben hat. Lass uns bitte wie erwachsene Menschen miteinander umgehen. Ich verspreche dir, wenn wir zurück in München sind, werden wir über unsere Freundschaft reden. In aller Offenheit. Ist das okay?«
Yvonne nippte an ihrem Espresso. So früh am Morgen waren sie die einzigen Gäste in der Hotelbar.
»Gut, wenn ich schon so blöde war zu glauben, dass ich nicht nur als Dolmetscherin erwünscht bin, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu beherrschen. Aber um eines bitte ich dich, rühr mich im Bett nicht an. Du weißt, dass ich dir nicht widerstehen könnte. Das wäre nicht fair von dir. Wir liegen wie Bruder und Schwester nebeneinander, ja? Was also machen wir heute zuerst? Schwesterchen ist bereit. Auf geht’s! Ergründen wir das Geheimnis von ›IDA‹ und ›ELENI‹.«
Jahzara traute sich nicht, in die U-Bahn einzusteigen. Sie stand auf dem Bahnsteig. Die Türen des Wagons waren geöffnet. Sie schaffte es jedoch nicht, sich zu bewegen. Sie hatte den Schock über die jüngsten Ereignisse noch nicht verdaut. Was in ihrem Haus mit dem einbeinigen Federico passiert war, hatte sie in eine Welt aus Angst und Schrecken versetzt. Der offiziellen Version über das, was da eine Etage unter ihr geschehen war, schenkte sie keinen Glauben. Den Schuss aus der Schrotflinte hatte sie nur im Unterbewusstsein, im Tiefschlaf wahrgenommen. Doch dieser panische Hilfeschrei des Hausmeisters hatte sie in ihrem Bett erstarren lassen.
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