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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Bedeutungslosigkeit zu verbannen.«
    Jahzara fühlte sich angewidert. Sie selbst war eine gläubige äthiopische Christin. Hatte die Kurie in Rom Millionen Christen des Abendlandes belogen und in die Irre geführt, weil sie fürchtete, dass der Alleinvertretungsanspruch des Papstes durch den Priesterkönig Johannes, durch andere Christengemeinden ins Wanken geriete? Unvorstellbar! Was aber hatte diese Karawane damals wohin und zu wem in Sicherheit bringen sollen? Und was hatten die Araber damit zu tun, die plötzlich ihr Leben auf den Kopf stellten?
    Fassungslos angesichts der sich aufdrängenden Verdachtsmomente, wandte sie sich von der Karte ab. Ihr Blick wanderte nach links, wo Modelle der portugiesischen Karavellen ausgestellt waren, mit denen die Seefahrer die Meere durchkreuzt hatten.
    Plötzlich stockte ihr der Atem. Nein, das konnte nicht sein! Unmöglich! Der Mann da vorne, zwischen den Vitrinen! Sie erkannte ihn, obwohl nur sein Kopf zu sehen war.
    Im selben Augenblick drehte sich der Mann um und entdeckte auch sie. Ihre Blicke trafen sich. Sie sah in seinen Augen, dass er sie sofort wiedererkannt hatte. Grenzenloses Erstaunen spiegelte sich in ihren Augen wider. Auf einmal trat eine blonde Frau hinter einer Vitrine hervor. Sie starrte Jahzara an. In ihrem Blick lagen Ohnmacht, Verwunderung und grenzenlose Traurigkeit.
    Yvonne wandte sich um und schaute zu Peter. In seinen Augen sah sie, was sie seit Venedig geahnt hatte. Wortlos, mit gesenktem Blick wandte sie sich ab und ging schnellen Schrittes durch den Saal zum Ausgang. Sie spürte, wie die Blicke der afrikanischen Schönheit ihr folgten.
     
    Wenig später saß Yvonne auf der Aussichtsplattform des nahegelegenen Entdeckungsdenkmals und schaute wehmütig auf den Tejo hinab. An dem zum 500. Todestag von Heinrich dem Seefahrer erbauten Padrão dos Descobrimentos herrschte Hochbetrieb. Touristen strömten durch die Unterführung zwischen dem Kloster und dem Fluss und bestaunten die 16 in Stein gemeißelten bedeutendsten Entdecker Portugals, angeführt von Heinrich dem Seefahrer. Von hier aus waren die Karavellen vor 600 Jahren aufgebrochen und hatten die Welt erkundet. Und hier endete nun für sie abrupt, was mit Peter vor vier Jahren angefangen hatte. Sie war traurig und weinte, weil sie ahnte, dass sie ihn verlieren würde. Er war ein beeindruckender Mann, aber er wurde von Wissbegierde und einem unbändigen Freiheitsdrang getrieben. Unbekanntes, Neues zog ihn wie ein Magnet an. Regelmaß, Routine, bourgeoises Mittelmaß, wie er es stets nannte, waren hingegen für ihn ein Horror. In seinem Schlafzimmer hing ein Zitat aus Hermann Hesses Gedicht Stufen:
     
    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
    An keinem wie an einer Heimat hängen,
    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
    Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
     
    Kaum sind wir heimisch einem Lehenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
     
    Genauso dachte und fühlte Peter. Sie liebte ihn. Doch sie hatte schon früh geahnt, dass sie einen Mann liebte, der nie in einer von beruflichen und familiären Zwängen geprägten Welt wie der ihren leben wollte und konnte. Nicht, dass er sich gegen Beziehungen wehrte. Er sehnte sich nach Gleichklang, Austausch, Nähe und Vertrautheit. Aber er hasste, wie er ihr es mal vor geraumer Zeit gesagt hatte, »goldene Käfige, die von anderen modelliert wurden und in denen ich nach den Regeln anderer leben und lieben muss. Deine Liebe, Yvonne«, das hatte er gesagt, »ist konditioniert. Du gibst sie nur dem, der seine Liebe deinen Vorstellungen anpasst, sie dem Diktat deiner Lebensrahmenbedingungen unterwirft.«
    Yvonne schluchzte. Peter war, was seine Gefühle anging, stets ehrlich zu ihr gewesen. Was heute geschehen war, hatte sich schon lange abgezeichnet. Er verließ eigentlich nicht sie, sondern das Leben, in das sie ihn hatte hineinzwingen wollen. Yvonne kramte ihr Handy aus der Handtasche. Zittrig wählte sie seine Nummer.
     
    Ergriffen von der Flut seiner Gedanken und Empfindungen, stand Peter, umgeben von Gemälden und Exponaten, inmitten des riesigen Saals und starrte die Frau mit dem ebenmäßigen Antlitz an. Er fühlte sich wie in einem Traum. Eben noch hatte Yvonne neben ihm gestanden. In Gedanken war er bei Heinrich dem Seefahrer und bei dem Geheimnis gewesen, auf dessen Spuren er sich befand. Und plötzlich sah er die Frau vor

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