Die verschollene Karawane
unterhalb der Festung etwas versteckt in Alfama befand, ließ Peter wieder einmal zu dem Schluss kommen, dass Lissabon eine der faszinierendsten und atmosphärischsten Städte Europas war. Im Innenhof saßen einige wenige Gäste eingehüllt in warme Kleidung und trotzten dem kühlen Abendwind. Jahzara schien hier Stammgast zu sein. Die Kellner grüßten sie vertraut und in der Bar im Erdgeschoss des Hauses winkte sie mehreren Gäste zu. Auch in der eher schlicht eingerichteten Bar war es ungewöhnlich kühl. Die Gäste scharten sich in Winterpullovern um zwei riesige Heizstrahler an der Theke. Gezielt stieg Jahzara eine schmale Wendeltreppe hinauf in die erste Etage. Im Gegensatz zu den schnöden Holzstühlen und Tischen im Innenhof und in der Bar strahlte die gediegene Einrichtung des Restaurants im Obergeschoss eine anheimelnde Atmosphäre aus. Von ihrem Tisch aus hatten sie durch die großen Glasfronten einen grandiosen Ausblick über die Altstadt und den Tejo, auf dem sich das letzte Sonnenlicht und die ersten Straßenlaternen widerspiegelten.
Jahzara wirkte sehr entspannt. »Das ist mein Lieblingslokal. Ich wohne nur wenige Schritte von hier. Es ist kein normales Restaurant, sondern eine Künstlerkooperative. Außerdem ist das Chapitô eine Schule für Clowns, Feuerschlucker und Jongleure, und die Besitzer kümmern sich um sozial benachteiligte Jugendliche. Was ich dir von der Speisekarte besonders empfehlen kann, sind Raia com Alcaparras und das köstliche Peito de Pato com Laranja.«
Peter schaute Jahzara bewundernd an. Gegen das Panorama des abendlichen Lissabon sah sie bezaubernd aus. Ihre schwarze Haut reflektierte das Kerzenlicht. Sie trug Jeans und eine weite, farbenfrohe Bluse im afrikanischen Ethnostil. »Warum warst du in Venedig?«
Peter fühlte sich überrumpelt. Mit dieser Frage hatte er in diesem Moment nicht gerechnet. Intuitiv entschied er sich, nur das Notwendigste zu sagen.
»Ich sammle alte Landkarten. Ein Freund von mir bat mich, nach Venedig zu kommen, weil er eine sehr ungewöhnliche Karte besaß und meine Meinung dazu hören wollte.«
Plötzlich zitterte Jahzara. Sie wich seinem fragenden Blick aus und schaute an ihm vorbei auf die Altstadt, während sie sehr leise fragte: »Heißt… hieß dein Freund Charles Bahri?«
Peter war geschockt. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Woher kannte sie Charles? Sie war Äthiopierin, kam also aus dem Land, das bei dieser ganzen mysteriösen Sache eine so große Rolle spielte. Nein, unmöglich! Das konnte kein Zufall sein! Jahzara hatte Angst, das war nicht zu übersehen. Aber was veranlasste sie dann, so ehrlich und direkt zu ihm zu sein? Er entschied sich, sie mit Fakten zu konfrontieren.
»Charles ist tot. Wahrscheinlich hat ein Araber ihn umgebracht. Vor kurzer Zeit hat ein Araber in Ägypten versucht, mich zu berauben. Und der Mann in der Zeitung von gestern Abend war ebenfalls ein Araber!«
Jahzara starrte ihn entgeistert an. Ihre Oberlippe zitterte. Ihre Augen ließen ihn erkennen, dass sie die Wahrheit sagte: »Charles war ein Bekannter meines Vaters. Wir haben schon seit einigen Jahren Kontakt. Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Dissertation mit den frühen Christenreichen Äthiopiens. Charles wollte mir in Venedig interessantes Material zukommen lassen. Dazu ist es nicht mehr gekommen.« Sie schaute abermals aus dem Fenster und über die Stadt, so, als fürchtete sie das, was er sagen würde.
Peter versuchte, seine Überraschung zu überspielen. »Ich kenne Charles schon seit Jahren. Auch ich habe von ihm Dokumente und eine alte Karte bekommen, die mich hierher nach Lissabon geführt haben. Es geht um die frühen Christenreiche Äthiopiens – und um Heinrich den Seefahrer.«
Peter hatte kurz überlegt, ob er Jahzara auch etwas über die geheimnisvolle Karawane erzählen sollte. Aber er hielt es nicht für klug. Was wusste er schon über sie? Nichts! Sie studierte Religionswissenschaften und schrieb an ihrer Dissertation. Wie Phönix aus der Asche war sie in seinem Leben aufgetaucht. Nur eins war klar: Wo immer sie erschien, gab es Tote. Vielleicht existierte zwischen ihr und diesen geheimnisvollen Arabern eine Verbindung, die ihm gefährlich werden konnte. Es galt, vorsichtig zu sein.
Jahzara schaute ihn nun direkt an. Viel Sanftes und Trauriges sah er in ihren großen, dunklen Augen – nur keine Bestätigung für sein Misstrauen.
»Ich habe Angst!« Sie sagte es so eindringlich, dass er ihr glaubte. »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher