Die verschollene Karawane
Pflaster. Die nassen Basalt- und Granitsteine sind glitschig. Als Frau bleibst du mit hohen Absätzen permanent stecken. Und mit Ledersohlen rutscht du ständig aus.«
Jahzaras Blick wanderte misstrauisch von rechts nach links durch das Dunkel der Nacht. In den engen Gassen war niemand zu sehen. »Bringst du mich zum Taxistand? Ich schlafe heute Nacht nicht bei mir zuhause, sondern bei einer Freundin.«
Peter hörte den ängstlichen Unterton in ihren Worten. Einen Augenblick lang hatte er das Verlangen, sie zu umarmen. »Kein Problem. Ich kann gut nachvollziehen, was in dir vorgeht. Verrätst du mir noch etwas? Was bedeutet dein Name – Jahzara?«
Sie lächelte ihn an. »Ich wurde auf den Namen Jah-za-ra getauft. Das bedeutet ›gesegnete Prinzessin‹.«
Am Mittag des nächsten Tages trafen sie sich erneut. In der Nacht hatte Peter kaum ein Auge zugetan. Seine preiswerte Pension im Stadtteil Bairro Alto lag direkt an einer Hauptstraße und war umgeben von Bars. Das Zimmer war grauenhaft eng, das Bett kaum mehr als eine Pritsche. Überall im Haus waren Stöhnlaute zu hören. Es war ein Stundenhotel, was er zu spät bemerkt hatte. Aber auch in einem komfortableren Bett hätte er nicht schlafen können. Die Fülle der Informationen bescherte ihm grauenhafte Kopfschmerzen. Wo immer er gedanklich auch ansetzte, vermeintliche Fakten analysierte und Zusammenhänge zu erkennen glaubte, eine Frage blieb stets offen: Warum hatte Charles geplant, ihn mit Jahzara zusammenzubringen? Es stand außer Frage, dass er das initiiert hatte. Alles, was sich bislang als Zufall dargestellt hatte, war von Charles angebahnt worden. Der Alte hatte das clever eingefädelt. Doch was hatte ihn dazu veranlasst? Wie hatte Charles gesagt: »Manche Türen lassen sich nur mit zwei Schlüsseln öffnen. Und manche Wahrheiten sollte man nicht nur einem Menschen aufbürden, weil der Mensch zu schwach sein könnte, sie allein zu tragen«. Womöglich war er der eine Schlüssel und Jahzara der zweite! Nur, zu welcher Tür und welche Wahrheit? Die Antwort war ihm schließlich im Morgengrauen gekommen. Seitdem halfen auch keine Tabletten mehr gegen seine Kopfschmerzen.
Sie hatten sich in der Pastelaria Suica an der Metrostation Rossio verabredet, direkt an dem gleichnamigen Platz im Zentrum. Die Sonne schien, und Jahzara roch nach Afrika. In ihr schienen sich all jene Düfte zu vereinigen, die er von seinen vielen Reisen auf dem schwarzen Kontinent kannte und die er so liebte. Sie lächelte ihn offen und ehrlich und irgendwie auch glücklich an. Ihre Wiedersehensfreude war nicht gespielt, ihrer beider Begrüßung sehr warmherzig.
Hastig zog Peter die Kopie der Karte hervor: »Ist das die Karte, die du auch hast?«
Jahzara schaute sich nervös im Café um. Ihre Blicke huschten über das Blatt. »Nein, nicht wirklich. Da fehlen Kleinigkeiten. Und diese Punkte quer durch die Karte sind auf meiner überhaupt nicht vorhanden. Alles andere scheint identisch zu sein. Auf meiner sind die Worte in Ge’ez noch gut zu lesen. Ich habe sie allerdings noch nicht übersetzen und deuten lassen, hoffe aber, bald eine Antwort aus Äthiopien zu bekommen. Bei deiner Kopie hier sind einige Buchstaben nicht deutlich zu lesen. Was ist das für eine Route, die da eingezeichnet ist?«
Peter hatte diese Antwort erhofft. Er jubelte innerlich. Der alte Charles war clever gewesen. Er hatte sicherstellen wollen, dass sein Wissen nicht in eine einzige Hand gelangte. Sein Anliegen war es ganz offensichtlich gewesen, die Informationen zu teilen, sodass zwei Parteien mit höchst unterschiedlichen Interessen über ein Wissen verfügten, dass nur zusammengeführt einen Sinn ergab. Jahzara interessierte sich als Äthiopierin und Religionswissenschaftlerin vornehmlich für die Geschehnisse um Kaiserin Eleni, die Portugiesen, das Christenreich von Aksum sowie für die suspekten Aktivitäten des Papstes. Ihm hingegen hatte Charles eine Karte zukommen lassen, auf der die Karawanenroute die wichtigste Nachricht war. Jahzara und er waren also auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Sie besaß Dokumente, hatte Wissen und Kontakte, ohne die er nicht weiterkommen würde. Er wiederum wusste von der verschollenen Karawane. Nur gemeinsam würden sie herausfinden, was damals wirklich geschehen war. Der Nebeneffekt war, dass sie sich gegenseitig kontrollieren würden. Charles hatte das wirklich perfekt eingefädelt.
»Auf dieser Karawanenroute, Jahzara, sind, zumindest nach meinem
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