Die verschollene Karawane
in meiner Heimat kennt Eleni! Sie war eine berühmte, couragierte Frau, die Großmutter des äthiopischen Kaisers, des Negus Lebna Dengel. Als er ohne Nachfolger starb, wurde sie zur Kaiserinmutter. Sie war es, Peter, die ein Hilfegesuch an den portugiesischen König Manuel I. richtete und um die militärische Hilfe Portugals im Kampf gegen die Türken des Osmanischen Reiches bat. Du wirst sicherlich wissen, wer Francisco Álvares war, oder?«
Peter schluckte. Ihr selbstbewusstes Lächeln faszinierte ihn.
»Sicher doch. Er war ein enger Vertrauter des portugiesischen Königs. Er hat das berühmte Buch Verdadeira Informação das Terras do Preste João das Índias – Wahrhaftiger Bericht aus dem Reich des Priesters Johannes von Indien – geschrieben und – «
Jahzara unterbrach ihn. »Er war ein Franziskaner, Peter – so wie unser toter Freund Charles! Die Franziskaner spielten damals eine sehr bedeutende Rolle bei der Entdeckung der Welt. Sie wussten alles, schrieben alles auf. Der Papst wollte wissen, was in der Welt geschah. Charles hat in den Bibliotheken des Franziskanerordens Dinge aus jener Zeit aufgespürt, die ihm zum Verhängnis wurden. Er hat mir das mal erzählt. Weil er nicht schweigen wollte, hat man ihn aus dem Orden ausgestoßen. Um aber auf Álvares zurückzukommen: Dieser Franziskaner begleitete nachweislich eine streng geheime diplomatische Mission nach Äthiopien, die von Dom Rodrigo de Lima angeführt wurde. Sie erreichten das einstige Königreich von Aksum, allerdings erst nach fünf Jahren und auf Umwegen über Indien. Wenn ich mich nicht täusche, war das im Jahre 1520. Álvares war es wohl, der auf die Idee kam, die zerbrechlichen Bande zwischen Portugal und Äthiopien durch die Heirat eines portugiesischen Edelmannes mit einer äthiopischen Prinzessin zu festigen, was ein Versuch des Papstes war, das Christenreich Äthiopien der römisch-katholischen Kirche einzuverleiben. Für die römisch-katholische Kirche waren die Christen Äthiopiens schon immer Häretiker!«
Peter bewunderte den Scharfsinn und das enorme Wissen Jahzaras, konnte aber ihren Ausführungen nicht so recht folgen.
»Ich verstehe das nicht, Jahzara. Einerseits bittet die Kaiserin Eleni quasi um Hilfe, bietet eine heilige Allianz im Kampf gegen die Moslems an. Aber in Rom stempelt man die Christen Äthiopiens zu Ketzern ab. Andererseits schickt der Papst diesen Francisco Álvares los, um eine Heirat zwischen Portugal und Äthiopien zu arrangieren. Das passt doch nicht zusammen!«
»Doch, Peter, das passt sehr wohl zusammen. Nur fällt es uns noch immer schwer, in den Päpsten jener Zeit nicht nur ehrenhafte Heilige Väter zu sehen, sondern auch machthungrige und skrupellose Männer.«
»Also hatte der Papst von Anfang an überhaupt keine Intention, beide christlichen Kirchen, die äthiopische und die abendländische zu vereinen? Er wollte sie schlichtweg missionieren.«
Jahzara lachte laut auf. Ihre Augen strahlten nun eine unglaubliche Wärme aus. Während sie sprach, strich sie mit ihrer Hand über seinen Handrücken. Er erschauerte.
»Ja, anscheinend. Wie auch immer, die Portugiesen und der Franziskaner Álvares kamen nachweislich in Äthiopien an. Dann aber geschahen dramatische Dinge, die alle Pläne Portugals und Roms änderten. Zumindest, wenn ich dem unbekannten Verfasser dieses alten Buches Glauben schenken kann.« Jahzara schwieg abrupt. Etwas schien sie zu beschäftigen. »Was ich noch erwähnen wollte, Peter, die ruhmreiche Kaiserin Eleni hat mich übrigens auf die Idee für meine Dissertation gebracht. Sie war eine sehr mutige Frau. Sie wurde nur Kaiserin, weil es dem Kaiser an Nachfahren mangelte. Kinderlosigkeit war auch damals schon – « Jahzara beendete den Satz nicht.
Peter wunderte sich, wieso sie dieses Thema überhaupt angesprochen hatte. Was immer es auch war, was sie ihm eben beinahe gesagt hatte, es schien sie sehr zu beschäftigen.
Verträumt schaute sie aus dem Fenster hinaus über Lissabon. Der Halbmond stand über dem Rio Tejo. Das Restaurant hatte sich längst geleert. Die Kellner waren bereits damit beschäftigt, neue Gedecke für den nächsten Tag aufzulegen.
Jahzara schaute auf die Uhr. »Es ist bereits eins. Ich bin sehr müde. Wenn alles klappt, habe ich morgen ein interessantes Gespräch in einem Museum.«
Am Ausgang verharrte Jahzara. Es hatte geregnet. Das Kopfsteinpflaster war nass.
»Pass bloß auf, Peter. Lissabon ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein gefährliches
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