Die verschollene Karawane
wollte. Jahzara hatte schon auf ihn gewartet. Sie hatte ihr Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen, was ihre hohe Stirn noch mehr betonte. Ihre Stimme klang sanft, als sie geflüstert hatte: »I’m Jahzara, nice to meet you.« Es hatte Peter irritiert, wie perfekt ein Name zu einem Menschen passen konnte. Jahzara! Der Name vereinte all das in sich, was er an Afrika liebte.
Seit einer halben Stunde saßen sie nun schon zusammen, und es kam ihm so vor, als kenne er diese Frau aus einem früheren Leben. War sie die personifizierte Erfüllung eines Traumes? Nur wenige Sätze hatten sie benötigt, bis jegliche Verkrampftheit und Unsicherheit gewichen waren. Sie plauderten, lachten, scherzten und hatten völlig vergessen, darüber zu sprechen, welcher Vorsehung es zu verdanken war, dass sie sich zwei Mal getroffen hatten. Peter spürte, dass Jahzara tausend Fragen stellen wollte, aber Lucinda Gouveia verhinderte es.
Die dralle Fado-Sängerin schien zu ahnen, dass ihre wehmütigen, von Schmerz, Schicksal, Sehnsüchten und wahrer, großer Liebe erzählenden Lieder bei ihren letzten beiden Gästen wohlwollende Zuhörer fanden. Sie stand in der Nähe ihres Tisches, hauchte oder schmetterte die für den Fado so charakteristischen vielen Tonhöhen und Molltöne in die Welt hinaus. Die beiden Gitarristen waren müde, schienen jedoch ebenfalls zu der Erkenntnis gekommen zu sein, ein verliebtes Paar vor sich zu haben. Der Wirt schenkte Wein nach, ohne zu fragen. Und Lucinda Gouveia sang einfach weiter.
»Diese Fado-Lieder tragen viel Wehmut in sich. Man weiß nicht, ob man traurig oder fröhlich sein soll«, unterbrach Peter eine längere Zeit des Schweigens.
Jahzara schaute ihn nicht an, während sie sprach: »Ich liebe den Fado. Er drückt den Schmerz aus, der viele Portugiesen miteinander verbindet. Es ist eine Musik für sozial Schwache gewesen, für Menschen, die aus Armut und Elend nur mittels Musik und der Sehnsucht nach Liebe entfliehen konnten. In Äthiopien haben wir auch solche Lieder.«
Peter hörte den Schwermut in ihren Worten.
Jahzara schien mit der Musik zu entrücken. Ihre Augen schimmerten verträumt.
»Als die Königin des Fados, Amália Rodrigues, vor einigen Jahren starb, rief der damalige portugiesische Premierminister eine dreitägige Staatstrauer aus und der laufende Wahlkampf wurde unterbrochen. Sie war eine Göttin! Man hat sie im Lissaboner Pantheon in der Kirche Santa Engracia bestattet. Ich kann von meiner Wohnung aus auf das Pantheon schauen. Man sagt, dass man sie bei geschlossenen Augen nächtens noch immer singen hört! Das ist es, was ich an den Portugiesen schätze: Sie lieben Wunder, die Wehmut, den Pathos und die Liebe. Ich mag solche Menschen.«
Peter musste schlucken. Lucindas Gesang, die Gitarren, die romantische Atmosphäre im Restaurant und Jahzaras Gegenwart versetzten ihn in eine wohlige Stimmung, die er schon lange nicht mehr empfunden hatte. Alles um ihn herum kam ihm wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht vor.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Ein Zeitungsbote betrat das Restaurant. Es war bereits zwei Uhr morgens. Der Padrone kaufte dem Händler zwei Exemplare der Nachtausgabe ab und legte sie achtlos auf den Nebentisch.
Jahzara wurde leichenblass. Panik überlagerte in Bruchteilen von Sekunden die Verträumtheit, die noch vor wenigen Augenblicken in ihren Augen geschimmert hatte. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und starrte dabei auf die Zeitungen.
Peter hatte keine Ahnung, was mit ihr los war. Dann sah er die Angst in ihrem Blick. Die Fado-Sängerin hörte abrupt auf zu singen, stierte erst zu Jahzara und dann auf die Zeitung. Jahzara richtete sich langsam auf, ging wie paralysiert zum Nebentisch und griff nach der Zeitung.
Peter konnte sehen, dass auf der Titelseite ein Toter abgebildet war. Er sah grausig aus, hatte ein Loch in der Stirn. Er war offensichtlich Araber. Jahzara schwankte und musste sich hinsetzen. Sie atmete schnell. Der Padrone griff nach der Zeitung und überflog die Titelseite.
»Verrückt«, murmelte er und schaute Peter und Jahzara an. »da hat sich doch glatt der Dieb, der letzte Nacht hier ganz in der Nähe einbrechen wollte und dem der Hausmeister mit der Schrotflinte eins verpasst hatte, selbst eine Kugel in den Kopf gejagt! Unglaublich! Selbstmord! Diese Araber sind schon sehr komische Typen. Ich werde nie verstehen, wie die denken und was sie wirklich wollen.«
7.
D as Ambiente des Restô do Chapitô, das sich
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