Die verschollene Karawane
fürchterliche Angst vor den Dingen, die um mich herum geschehen, Peter! Wir kennen uns kaum, eigentlich gar nicht. Aber ich weiß nicht, wem ich mich sonst anvertrauen kann. Ich spüre, dass diese mysteriösen Geschehnisse etwas mit uns beiden zu tun haben. Der Araber, der gestern in der Zeitung abgebildet war, ist in der Nacht zuvor in dem Haus, in dem ich wohne, bei einem angeblichen Einbruchsversuch ertappt worden. Dieser Araber, Peter, wollte nicht in irgendeine Wohnung des Hauses einbrechen. Er wollte zu mir! Als ich nachts durch den Lärm aufwachte, hatte ich das Gefühl, als sei jemand in meiner Wohnung gewesen. Es roch so streng nach dem Schweiß eines fremden Menschen. Und nach kaltem Zigarettenrauch. Ich habe noch nie geraucht, Peter. Ich weiß, dass jemand in meiner Wohnung war, während ich schlief. Er hat etwas gesucht. Vielleicht ein besonderes Buch, das ich von Charles habe. Es lag unter meiner Bettdecke, weil ich vor dem Einschlafen darin gelesen hatte. Nun ist der Einbrecher, der Mann, der wahrscheinlich in meiner Wohnung war, tot! Angeblich war es Selbstmord. Ich sterbe bald vor Angst, weil ich weiß, dass ich schon in Venedig von Arabern verfolgt oder beobachtet wurde. Auch an dem Tag, an dem wir uns auf dem Boot trafen. Ich ertrage diese Angst nicht mehr.«
Peter runzelte die Stirn. Was sollte er davon halten, was denken, glauben, tun? Alles schien zusammenzupassen. Charles hatte einmal angedeutet, dass er noch jemanden kenne, der sich für diese Unterlagen interessieren würde. Und er hatte in der ihm eigenen Art hinzugefügt: »Manche Türen lassen sich nur mit zwei Schlüsseln öffnen. Und manche Wahrheiten sollte man nicht nur einem Menschen anvertrauen, weil dieser Mensch zu schwach sein könnte, um diese Bürde allein zu tragen.«
Endlich verstand er, was Charles damit gemeint hatte.
»Hast du von Charles außer diesem Buch und den Dokumenten auch eine Karte bekommen, eine alte, die mit Äthiopien zu tun hat?«
Seine Frage schien Jahzara überhaupt nicht zu überraschen. Ruhig schaute sie ihm in die Augen.
»Ja, er hat sie mir schon vor geraumer Zeit gegeben. Darauf stehen seltsame Dinge in Portugiesisch und in Ge’ez geschrieben. Und die Namen Eleni und IDA, also Heinrich der Seefahrer. Ich kann damit nicht sonderlich viel anfangen. Warum fragst du?«
Peter starrte sie an. »In Portugiesisch und in was?«
»Ge’ez! Das ist eine altäthiopische Sprache, die sich aus dem Sabäischen entwickelte. Nur wenige Priester und Wissenschaftler in Äthiopien verstehen diese Sprache heute noch. Unsere Nationalchronik, das Kebra Nagast, was du mit ›Ruhm der Könige‹ übersetzen kannst, wurde in Ge’ez verfasst. Warum starrst du mich so an?«
Er blinzelte verlegen. Für einen Moment lang hatte er an Yvonne gedacht. Sie hatte Recht gehabt. Yvi hatte schon in Venedig angedeutet, dass die Ziffern auf der alten Karte dem Sabäischen sehr ähneln.
Irritiert räusperte er sich: »Was steht da drin, in dieser Nationalchronik?«
Jahzara lächelte. »Du bist vielleicht gut, wie soll ich dir in wenigen Sätzen sagen, was auf hunderten von Seiten geschrieben steht? Dieses heilige Buch ist für uns Äthiopier gleichbedeutend mit eurer Bibel. Es ist ein Bericht über die Herkunft der salomonischen Kaiser von Äthiopien. Der vorhandene Text ist mindestens 700 Jahre alt und wird von äthiopischen Christen als unantastbare Wahrheit angesehen. Vieles davon erinnert an das Alte Testament. Über die Bundeslade steht sehr viel darin. Unter anderem, wie sie von Jerusalem nach Äthiopien gelangte.«
Peter hatte die letzten Worte von Jahzara kaum wahrgenommen. Die Bundeslade! Er hatte schon davon gelesen, dass Wissenschaftler sich mit der These beschäftigten, dass die Bundeslade früher in Äthiopien war – oder sich vielleicht sogar noch dort befindet. Obwohl er ziemlich sicher war, dass sein Misstrauen Jahzara gegenüber unbegründet war, entschied er sich, taktisch vorzugehen.
»Du hast gesagt, auf der Karte stünden die Namen Eleni und Heinrich der Seefahrer drauf, richtig?«
Jahzara antwortete ohne Umschweife. »Ja. Allerdings steht da nicht Heinrich der Seefahrer, sondern IDA. Das war das Kürzel für den portugiesischen Entdecker: Infante Dom Anrrique. Du hast doch im Museum, wo wir uns trafen, vor dem Bild von Dom Anrrique gestanden.«
Peter schaute sie lächelnd an. Plötzlich war er sich sicher, dass er Jahzara trauen konnte.
»Wer oder was ist Eleni?«
Ihre Augen blitzten vergnügt. »Jeder
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