Die verschollene Karawane
sich, die er in Venedig durch das Objektiv seiner Kamera bewundert hatte.
Plötzlich klingelte sein Handy. Hastig zog er es aus seiner Jackentasche. Er konnte hören, dass Yvonne versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Es machte ihn traurig und es tat ihm grenzenlos leid, dass sie irgendwo da draußen saß, wahrscheinlich völlig aufgelöst, enttäuscht, hoffnungslos und allein. Ihre Stimme schien aus einer anderen Welt zu ihm vorzudringen.
»Peter, was immer soeben geschehen ist, es war nur eine Frage der Zeit. Ich weiß nicht, ob es Bestimmung oder eine in Erfüllung gegangene Hoffnung, ein sehr starker Wunsch von dir war, dass diese Frau hier im Museum auftauchte. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was zwischen dir und ihr war, ist, sein wird. Es ist besser, wenn wir uns für eine Zeit lang nicht sehen. Ich muss nachdenken. Was ich dir aber noch sagen wollte, ich habe gefunden, was wir in diesem Museum gesucht haben! Dreh dich mal um.«
Peter spürte, wie ihn die Situation überforderte. Yvonne klang sehr melancholisch. Reue und Trauer übermannten ihn. Nun, da sie weg war, da sich abzeichnete, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde, hatte er grenzenlose Angst, sie zu verlieren. Gestritten hatten sie sich hin und wieder mal. Aber noch nie hatte im Raum gestanden, dass sie sich trennen könnten. Was sollte er tun? Er hörte Yvonne schluchzen. Verflucht noch mal: Sie liebte ihn so sehr, dass sie selbst in diesem Moment noch an den Grund ihrer Reise nach Lissabon dachte. Wie soll ein Mensch mit solchen Situationen umgehen? Sollte er Yvonne suchen, sie in den Arm nehmen?
Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er, wie die geheimnisvolle Schöne sich umdrehte. Sein Herz pochte. Sie geht! Panisch überlegte er, wie er sie aufhalten könne.
Aus dem Handy klang Yvonnes Stimme in sein Bewusstsein.
»Peter? Peter, hörst du mich?«
Er stotterte. »Ja, Yvi, ja…«
»Peter, hinter dir an der Wand hängt ein großes Gemälde. Es zeigt drei Männer. Der Mann in der Mitte trägt ein braunes Gewand. Siehst du es?«
Peter wandte sich zu dem Gemälde um. Drei Männer waren darauf abgebildet. Der rechte trug ein blaues, bis zum Boden reichendes Gewand und hielt ein Schiffsmodell aus Holz in der Hand. Der Mann links im Hintergrund umklammerte einen Sextanten. Dann fiel sein Blick auf den Mann im Zentrum des Bildes. Er erkannte ihn sofort an seinem Schnauzbart. Es war Heinrich der Seefahrer. In seinem Schoß hielt er eine Landkarte. Selbst von Weitem konnte er erkennen, dass es eine Karte der westafrikanischen Küste war.
»Siehst du das Bild, Peter?«
Yvonnes Stimme riss ihn zurück in die traurige Gegenwart.
»Ja, ich sehe es. Es ist Infante Dom Henrique.«
»Ja, es ist Heinrich der Seefahrer. Aber darum geht es nicht, Peter. Du hast doch nach einer Erklärung für die drei Buchstaben ›IDA‹ auf der Landkarte gesucht, richtig? Jene drei Buchstaben, die auf der Karte vermerkt waren, dort, wo die Karawane in der Wüste verschwunden ist. Geh näher an das Bild ran, Peter. Ganz nahe!«
Peter folgte Yvonnes Anweisungen. Was wollte er ihr nicht alles sagen, fand aber keine passenden Worte. Macht- und hilflos hatte er das Gefühl, auf einer Wolke dahinzutreiben. Er fixierte jeden Zentimeter des Bildes. Wo war das Geheimnis verborgen? Fraglos zeigte die Karte die Region, von der aus die Portugiesen auf dem Senegalstrom und später dann auf dem Gambia flussaufwärts Richtung Osten ins Innere Afrikas vorgedrungen waren – auf der Suche nach dem Weg zum Priesterkönig Johannes. Dann blieb sein Blick auf dem Treppchen haften, auf das Heinrich der Seefahrer leger seinen linken Fuß gestellt hatte. In sehr zartem, kaum sichtbarem Braun standen drei Buchstaben auf der Front des Treppchens: IDA. Unglaublich! Sein Blick huschte zu der Legende neben dem Gemälde: Infante Dom Henrique – in jenen Zeiten auch Infame Dom Anrrique genannt. Die Seefahrer befestigten an ihren weißen Segeln mit den roten Kreuzen des Christusordens, dessen Gouverneur der Königssohn war, kleine Wimpel mit den drei Buchstaben IDA, was »Aufbruch« bedeutete, aber auch das Kürzel für Infante Dom Anrrique war.
Peter zitterte vor Aufregung. IDA – Heinrich der Seefahrer! Vor ihm an der Wand hing der Beweis dafür, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Heinrich dem Seefahrer und der geheimnisvollen Karte gab. Blieb noch die Frage, wieso das Kürzel IDA ausgerechnet dort auf der Karte stand, wo die Karawane wahrscheinlich verschollen
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